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Bier in der Kaffeemaschine
und ein Kind als Klingelton

Horst Evers holt die Rietberger in seine bizarre Welt

Rietberg (WB). Seltsame Dinge bevölkern seine Geschichten: ein Videorekorder, der aus permanenter Unterforderung den Geist aufgibt; eine altersschwache Kaffeemaschine, die lieber aus dem letzten Loch röchelt als ein Heißgetränk herzustellen; ein Ikea-Sessel, der mehr Post bekommt als sein Besitzer; ein Handy mit arabischem Klingelton, das in einem Mülleimer landet und die Evakuierung eines gesamten Baumarktes nach sich zieht. Willkommen in der sonderbaren Welt des Horst Evers!

Zum zweiten Mal war der Mann, den man am besten als »komischer Geschichtenerzähler« beschreibt (komisch im Sinne von witzig) jetzt zu Gast im Rahmen der Rietberger »Kulturig«-Reihe. Sein erster Besuch vor etlichen Monaten muss tiefen Eindruck beim Publikum hinterlassen und jene berühmte Mundpropaganda in Gang gesetzt haben, die es einem Veranstalter beim zweiten Mal einfach macht: »Wir hatten kaum auf EversÕ zweiten Besuch hingewiesen, da war der Abend schon ausverkauft«, so Mitorganisator Volker Pappert gegenüber dem WESTFALEN-BLATT. Er besah sich den Trubel mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Gut und gern 100 bis 200 Karten hätte er mehr verkaufen (und damit die »Kulturig«-Kasse aufpäppeln) können, doch ein adäquater mittelgroßer Saal steht in Rietberg nicht zur Verfügung.
Und so blieb denn den besonders schnellen Kartenkäufern das Privileg, Horst Evers in Aktion zu erleben - und dem Rezensenten die Mühe, den Auftritt angemessen zu beschreiben. Denn wollte man einem Außenstehenden die reinen Fakten schildern, würde sich das so anhören: »Also, das ist ein Typ mit Fastglatze und großen Augen, der immer ein rotes Cordhemd trägt. Er kommt auf die Bühne mit einem Notenständer, ein paar speckigen Zetteln, liest ein bisschen vor und erzählt was.« Klingt nicht sehr aufregend, ist es aber.
Denn in dem Kosmos von Horst Evers aus Berlin, der eigentlich gar nicht so heißt und auch nicht von dort kommt, tummeln sich neben seltsamen Gebrauchsgegenständen noch viel seltsamere Menschen: eine Mutter, die ihr plärrendes Blag als Klingelton verkaufen will, ein Busfahrer, der für den überforderten Vater mitdenkt und vorsichtshalber dem Nachwuchs das Bastelzeug für den Kinderladen besorgt hat, der Dieb einer schweren Holzplatte, der sich weigert, nach einer schweißtreibenden Verfolgungsjagd mit Kakao und Brötchen aufgepäppelt zu werden, und schließlich der Protagonist selbst, der zuerst für seinen Freund und anschließend für alle möglichen fiesen Menschen wie Börsenhaie und Immobilienmakler die Handyverträge kündigt und der, nachdem er über der Computertastatur eingeschlafen ist, innerhalb von drei Stunden 320 Seiten nur mit dem Buchstaben »n« voll geschrieben hat.
Wer das alles verstehen will, der muss Evers sehen und hören, und schnell wird klar, dass der arme Kerl in den meisten Fällen gar nichts dafür kann, dass man ihm bulgarische Billigerde für den Pflanzentopf angedreht hat oder dass eine Kaffeemaschine nun mal mit Bier nicht funktionieren will. Der Alltag steckt voller Tücken, Horst Evers spürt sie auf und benennt sie. Vielleicht wird ja jetzt klar, warum sein voriges Programm »Horst Evers erklärt die Welt« hieß und er jetzt über »Gefühltes Wissen« berichtet.
Rolf Lielischkies

Artikel vom 13.03.2006