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Salsa, Son und Bolero entstehen im Herz

Santiago de Cuba: die heimliche Hauptstadt der Insel und auf jeden Fall ihr musikalisches Zentrum

Von Thomas Albertsen
Santiago (WB). Wer richtig in die Musikszene Kubas eintauchen will, muss einfach in Santiago gewesen sein. Da kann Havanna beim besten Willen nicht mithalten.

Im Melia-Hotel geht es schon vielversprechend los: Das Haus verfügt über ein Showtheater mit Miniatur-ausgaben der bekanntesten Gebäude der Stadt und präsentiert am Wochenende stets ein feuriges Programm mit Revuetanz, Akrobatik, Gesang und Comedy-Magie.
Santiago de Cuba war einst die Hauptstadt der Insel, wurde durch Zucker- und Sklavenhandel reich und kulturell dank französischer und haitianischer Flüchtlinge belebt. Legendäre Musiker wie Compay Segundo und Ibrahim Ferrer vom »Buena Vista Social Club« wurden in Santiago geboren, ihr »Son de la loma« ist bis heute die weltbekannte Hymne dieser Stadt. Das »Casa de la trova« ist die wohl legendärste Spielstätte und hat für Kuba die gleiche Bedeutung wie die Preservation Hall in New Orleans oder das Apollo Theater in New York. Dort treffen sich abends die Rundreisegäste der TUI, nachdem sie tagsüber auf dem Friedhof Santa Ifigenia das schlichte, nur mit der Nummer 12 gekennzeichnete Grab von Compay Segundo besucht und auch Kubas Nationalheld José Marti gehuldigt haben.
Das »Casa de la Trova«, einst Treff kubanischer Musiker in einem Tabakladen, hat sich zu einer kommerziellen Bühne entwickelt. Treffpunkt der Musiker ist jetzt das »Casa del Jurista« neben dem Karnevalsmuseum. An der Tür steht zwar, dass der Zutritt nur Mitgliedern und ihren Familien gestattet ist, aber einzelne Touristen (keine Gruppen!) werden gelegentlich eingelassen, wobei es hilfreich ist, wenigstens ein paar Brocken spanisch zu sprechen. Schnell ist man integriert, und wenn dann Miguel Angel Justiz Bonne mit strahlendem Tenor seine Boleros schmettert, schmilzt das Herz schneller als die Eiswürfel im Mojito. Vor ein paar Monaten war er vielleicht noch auf Tour in Deutschland oder Frankreich, aber am Samstag in Santiago erfreut er die lokalen Künstler mit seinem Gesang, anschließend, wenn »Salsoneando« ihren feurigen Mix aus Salsa und Son präsentieren, tanzt er mit seiner Frau, die er auch nach so vielen Ehejahren noch charmant umgarnt.
Besinnlicher geht es bei »Zulema« zu, die schon mal einen Blues einstreut, ehe José Luis Cortés Gonzales, genannt »der Rohe«, bei seinen Kollegen Jubelstürme mit seinem Flötenspiel und scheinbar recht provokanten Texten verursacht. Jedenfalls gefällt es ihm überhaupt nicht, dass CDs auf Kuba nur gegen die Touristenwährung CUC verkauft werden.
Im Juli gerät Santiago de Cuba regelmäßig in den kollektiven Karnevalsrausch und streitet sich mit Santa Cruz auf Teneriffa, wer den wohl den zweitbesten Karneval nach Rio de Janeiro feiert. Santiago kann immerhin mit einem zwölfstündigen und 35 Kilometer langen Umzug aufwarten, der Karneval dort geht auf das Jahr 1515 zurück, als die spanischen Eroberer gemeinsam mit den Einheimischen eine Fiesta veranstalteten. Die Riten der als Sklaven gekommenenen Afrikaner, der Gebrauch der chinesischen Trompete und die Einflüsse der aus Haiti geflohenen Franzosen taten ein Übriges, um dem Karneval einen kosmopolitischen Anstrich zu geben. Da im Juni gefeiert wird, können Abordnungen aus Santiago im Februar als Gäste zu anderen Karnevalsfeiern reisen, ebenso erhalten sie im Sommer regelmäßig Besuch von Freunden aus aller Welt. Dann werden die Straßen mit bunten Masken geschmückt, und tagelang beben die Straßen im Rhythmus von Salsa und Son.

Artikel vom 17.03.2006