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Niemeyer baut der
Stadt ein neues Bad

Seit der Wende blüht in Potsdam der Bus-Tourismus

Von Thomas Albertsen
Potsdam (WB). Preußens Glanz und Gloria lebt in Potsdam fort. Die Schlösser sind das Pfund, mit dem die Residenzstadt seit Jahrzehnten wuchert. Schon zu DDR-Zeiten war es relativ leicht, ein Visum für den Bezirk Potsdam zu bekommen. Dann konnte man auf den Spuren des »Alten Fritz« Sanssouci entdecken und sich natürlich auch im Schloss Cecilienhof der Neuordnung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg erinnern.

Nach der Wende wurde Potsdam ein beliebtes Ziel für die zahlreichen Busreise-Veranstalter. Die Landes-hauptstadt von Brandenburg stand vor der Aufgabe, sich ein repräsentatives Gesicht zuzulegen. Teile des Stadtzentrums waren von hässlichen Plattenbauten verunstaltet, markante Bauwerke fielen der Abrissbirne zum Opfer. Das Holländische Viertel gammelte vor sich hin, ebenso die eleganten Villenviertel mit exklusiven Wassergrundstücken.
Diese freilich waren schnell an den Mann zu bringen - Promis wie Wolfgang Joop und Günther Jauch schlugen zu, als sie auf den Markt kamen. Der Edel-Schneider und der Promi-Talker freilich möbelten nicht nur ihre Neuerwerbung auf, sondern spendeten großzügig, als es um die Renovierung vieler prägender Bauten im Stadtbild ging.
Potsdam - obwohl im Berliner Speckgürtel gelegen - ist heute touristisch eine absolut eigenständige Marke und wahrlich eine Reise wert. Insbesondere lohnen Fahrradtouren, denn die grüne Stadt lädt zum entspannten Dahinrollen ein. Ob Schlossparks, entlang der Havel, zur russischen Siedlung Alexandrowka oder im Holländischen Viertel: Potsdam macht Spaß, ist aber vor allem eine Schönwetter-Destination. Zwei Strandbars unterstreichen dies noch eindrucksvoll.
Das wird sich freilich ändern, sollten die Pläne von einem »Brasilia am Brauhausberg« verwirklicht werden. Kein Geringerer als Brasiliens Stararchitekt Oscar Niemeyer hat seinen Enkel Joào mit einer kühnen Botschaft von Rio de Janeiro nach Potsdam entsandt: Die Stadt erhält ein in der Welt einzigartiges Freizeitbad mit einer unvergleichlichen Ausstrahlung. »Potsdam kann sich freuen«, versicherte der selbst schon lange als Architekt arbeitende Gast während eines Rundgangs über das künftige Baugelände.
Sein 98-jähriger Großvater, berühmt geworden durch seine Bauten in Brasilia, hat für den Brauhausberg gegenüber vom Hauptbahnhof einen 31,5 Millionen Euro teuren Schwimm- und Badetempel entworfen. Die ersten Bagger sollen Ende des Jahres anrücken. Für den 31. Juli 2007 ist die Eröffnung geplant. Bereits jetzt hat die Suche nach Blindgängern begonnen. Für das neue Bad werden die dortige alte Schwimmhalle und das geschlossene Restaurant »Minsk« abgerissen. Die Chancen, auch Besucher von außerhalb Potsdams anzuziehen, stehen gut, da der Hauptbahnhof nur zehn Gehminuten entfernt liegt. Ferner gibt es direkt am Bahnhof einen Zubringer zur A 115 nach Berlin, und auch zur Glienicker Brücke sind es nur fünf Autominuten. Knackpunkt: Noch steht die Finanzierung nicht auf sicheren Füßen, deshalb wird auch über eine abgespeckte Variante diskutiert.
Im Zentrum Potsdams hat außerdem der Aufbau der Garnisonskirche begonnen - auf den Tag genau 60 Jahre nach dem alliierten Luftangriff am 14. April 1945, bei dem weite Teile der Altstadt der Preußenresidenz zerstört wurden. Als Schirmherren legten Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, Bischof Wolfgang Huber, den Grundstein für das Gotteshaus. Für den Wiederaufbau sollen jetzt nach dem Vorbild der Dresdner Frauenkirche weltweit 65 Millionen Euro Spenden gesammelt werden. Es sei ein Signal für Versöhnung und Frieden, sagte Bischof Huber vor 1000 Potsdamern und Gästen, darunter Altbundespräsident Richard von Weizsäcker und Modeschöpfer Wolfgang Joop.
Die Planungen sehen vor, Turm und Kirche bis zum 500. Jahrestag des Beginns der Reformation 2017 zu vollenden. Der Aufbau ist allerdings nicht unumstritten. Kritiker befürchten, dass die Garnisonskirche Neonazis anziehen könnte, weil sich dort am 21. März 1933, am »Tag von Potsdam«, Hitler und Reichspräsident Paul von Hindenburg getroffen hatten, was als Symbol für die Allianz von Nationalsozialismus und Preußentum galt.
Die Koalitionsfraktionen von SPD und CDU im Bran-denburger Landtag haben sich außerdem für einen Parlamentsneubau auf dem Potsdamer Alten Markt entschieden, der die Fassade des früheren Stadtschlosses erhalten soll. Die Entscheidung fiel mit großer Mehrheit. »Ein großer Tag für Potsdam«, kommentierte Andreas Mühlberg, SPD-Fraktionschef in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung, den Beschluss.
Der Koalitionsvorschlag sei ein positives Signal, dass ein ähnliches Engagement nach sich ziehen werde, wie schon bei anderen Vorhaben. Die Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten hat ihre Hilfe bei der Rekonstruktion der historischen Fassade des Potsdamer Stadtschlosses angeboten. Mit der Fassade soll das geplante neue Parlamentsgebäude auf dem Alten Markt versehen werden. »Wir sind bereit, mit all unserem Wissen das Vorhaben zu unterstützen«, sagte Generaldirektor Hartmut Dorgerloh. Die Rekonstruktion sei mit einfachen Mitteln machbar. Die Dimensionen des Projektes lassen sich bereits erahnen: Rote Wände markieren die Umrisse des ehemaligen Schlosses. Allerdings muss zunächst eine der Haupteinfallstraßen von Potsdam verlegt werden.

Artikel vom 17.03.2006