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Das Wort zum Sonntag

 Von Heinz-Hermann Grube, Lübbecke


»So kenne ich dich gar nicht«, sage ich zu meinem Freund. »Natürlich, du hast Recht, man kann das nicht durchgehen lassen, wenn jemand so eigenmächtig handelt. Aber dass du gleich so aus der Haut fahren musst.« Die Mitarbeiterin meines Freundes, der er immer voll vertrauen konnte, hatte ohne Rücksprache mit ihm Zusagen gemacht und dabei wohl etwas zuviel versprochen. »Dass du nun also auch noch für die Ausrichtung der Abschlussfeier der Jahresabsolventen sorgen musst, klar, das ohne deine Zustimmung zuzusagen, ist schon ziemlich frech. Andererseits: wer kann es besser als du? Komm wieder runter. Sie hat es nicht böse gemeint und du kannst ihr eigentlich auch nicht böse sein.« Es dauerte noch eine Weile, bis er sich wieder beruhigt hatte. Nur zufällig hatte ich mitbekommen, welch ein Donnerwetter auf die arme Frau niederging. Ja wirklich, so kannte ich meinen Freund noch nicht. Natürlich hatte diese Angelegenheit keine weiteren Folgen. Ihm war selbstverständlich klar, wie viel er seiner Mitarbeiterin zu verdanken hatte. Alles blieb beim Alten - bis auf die Tatsache, dass ich eine neue Seite an meinem Freund kennen gelernt habe.
Eine der merkwürdigsten Aussagen der Bibel sind die, dass Gott offenbar von uns immer wieder an seine guten Seiten erinnert werden will. »Denke nicht an meine Fehler, Gott, denke daran, dass du ein gütiger und barmherziger Gott bist.« Hat Gott das nötig? Nein, aber wir. Indem wir Gott an seine Güte erinnern, erinnern wir uns auch daran, wer wir selbst vor Gott sind. Die Bibel findet harte Worte darüber, wer und wie wir im Grunde sind: eigenmächtig, selbstsüchtig, Geschöpfe wie saure Trauben, miese Geschäftemacher. Aber die Bibel ist kein Buch, das uns schlecht machen will und Gott hat nach dem Zeugnis der Bibel kein Interesse daran, uns Menschen zur Hölle zu schicken. Indem wir Gott an seine Güte erinnern, erinnern wir uns eben auch daran, was wir vor Gott sind: wir sind auf seine Güte angewiesen, wir können nur leben, wenn seine Liebe uns erreicht. Die Bibel ist ein Buch, das eine Botschaft enthält, die uns Leben ermöglichen will und die Bibeltexte für den kommenden Sonntag mit dem lateinischen Name »Reminiscere« (Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit!) wollen uns sagen, dass die Liebe, aus der wir leben dürfen, einen Namen hat: Jesus Christus. Er kennt uns gut. Er hat alles auf sich genommen, um uns Leben zu ermöglichen. Er hat eine Liebe gelebt, die nicht einmal den Tod scheute. Und so dürfen wir mit voll und ganz ihm rechnen und mit ihm reden: eben wie mit einem wahren Freund.

Artikel vom 11.03.2006