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Das Wort zum Sonntag

Pfarrer Bernd Tiggemann


Da stellt man einmal unter Beweis, dass man ein weites Herz für Tiere hat, und schon muss man sich so was anhören. Aber der Reihe nach, liebe Leserinnen und Leser: Vor zwei Wochen haben wir zusammen mit unseren Kindern Meisenknödel produziert und einige gelungene Exemplare im Garten aufgehängt. Schließlich frieren die Vögel schon so lange. Da sollen sie wenigstens was zu beißen haben.
Eines Tages kommt ein Junge aus der Nachbarschaft vorbei und fragt neugierig, was denn das für lustige Bällchen seien, die bei uns in den Ästen hängen. Nachdem wir ihn über Sinn und Zweck der kugeligen Müsli-Riegel aufgeklärt haben, bleibt er wie gefesselt stehen, klappt seine Kinnlade nach unten und reißt die Augen auf. Ein Anflug von Panik überkommt ihn. »A...a...aber«, fängt er an zu stammeln, »dann kommen ja die ganzen Vögel.« »Genau«, antwortet meine Frau, »darum haben wir die Kugeln ja gemacht.« Der junge Mann setzt nach: »Aber die haben doch die Grippe!«
Da fällt es uns wie Schuppen von den Augen. Klar, der Nachbarjunge hat Angst. Angst vor der Vogelgrippe. Und damit hat er ziemlich genau die Stimmung wiedergegeben, die sich zwar schleichend, aber stetig auch in unseren Längengraden breit macht. Allen Forderungen nach Besonnenheit zum Trotz wächst die Angst. Jeden Tag ein kleines Stück.
Dabei war doch vor drei Jahren alles etwas einfacher. Damals hieß die Krankheit, die das Federvieh plagte, noch Geflügelpest. Eine - wie ich finde - harmlosere Bezeichnung, suggeriert sie doch, dass es sich um eine auf Tiere beschränkte Erkrankung handelt, die dem Menschen nicht gefährlich werden kann. Schließlich gilt die Pest zumindest in Europa seit mehreren hundert Jahren als besiegt.
Mit dem Wort »Vogelgrippe« verhält es sich anders. Eine Grippe, das weiß jedes kleine Kind, kann man sich schneller einfangen, als Hühner Eier legen, selbst wenn man noch so vorsichtig ist. Eine Grippe - auch die Vogelgrippe - kann im Prinzip jeden treffen.
Das schürt die Angst der Menschen ebenso wie die Tatsache, dass sich der H5N1-Virus eben nicht so leicht bekämpfen lässt wie ein Vierer beim Schiffeversenken mit derselben Buchstaben/Zahlen-Kombination. Noch breitet sich die Krankheit munter aus. Es scheint schwer, sie unter Kontrolle zu bekommen.
Während allerdings TV-Moderator Stefan Raab nicht müde wird, sein T-Shirt mit dem Aufdruck »I survived the Vogelgrippe« (Ich habe die Vogelgrippe überlebt) öffentlichkeitswirksam zu vermarkten und selbst für infizierte Menschen noch den sarkastischen Zusatzsticker mit der Aufschrift »Doch nicht!« bereit hält, kommt mir angesichts der Gefahr für uns Menschen, die in diesem Fall vom Federvieh ausgeht, Hitchcocks Film-Klassiker »Die Vögel« in den Sinn. Allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: In Hitchcocks Kultstreifen treten die Vögel durch massive Attacken gegen die Menschen in Erscheinung.
Heute befinden sie sich eher in der Rolle von Lebewesen, die selbst leiden. Ein Gesichtspunkt, der in der ganzen bisherigen Diskussion viel zu wenig berücksichtigt worden ist. Sicher: Es ist gut zu wissen, wie man sich als Mensch schützen kann. Dennoch scheint es mir kein Luxus zu sein, auch an die vielen Vögel zu denken, die elendig und völlig unfreiwillig an dieser Krankheit verrecken.
Zuerst sah ja alles ganz harmlos aus, als der Killervirus ausschließlich in China zuschlug. Doch in den vergangenen Wochen ist uns die Vogelgrippe reichlich nah auf die Pelle gerückt.
Was ist zu tun? Jetzt, so könnte mancher denken, hilft nur noch beten. Und in der Tat haben orthodoxe Priester in Griechenland bereits damit begonnen. Doch ganz so weit sind wir bei uns noch nicht. Zum Glück. Auch wenn ich persönlich nichts gegen proppevolle Kirchen hätte und sich sicherlich genügend Menschen fänden, die bereit wären, Gott anzurufen. Immerhin beten laut einer jüngsten Studie der Evangelischen Kirche in Deutschland zwei Drittel aller Kirchenmitglieder und sogar jeder Vierte Konfessionslose.
Zurzeit, so sieht es jedenfalls aus, reicht es, den Kontakt zum Federvieh zu meiden und die Stallpflicht konsequent und so artgerecht wie möglich aufrecht zu erhalten. Ob man allerdings so weit gehen sollte und den Wetterhahn vom Kirchturm holt, wie es uns eine Gemeinde im nördlichen Ruhrgebiet vorgemacht hat, das weiß ich nicht. Ebenso unsicher bin ich mir mit Blick auf unsere Kindergruppe »Die Wilden Hühner« in Bornholte.Ich will jedenfalls nicht hoffen, dass wir die Jungen und Mädchen künftig dauerhaft in den dortigen »Hühnerstall« verbannen müssen. Vielleicht hilft ja doch ein kurzes Gebet. Aber eben nicht nur.
Ihnen allen ein grippefreies Wochenende,
Ihr Pastor Bernd Tiggemann

Artikel vom 04.03.2006