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Ein Bein, das piept und mitdenken kann

Andreas Brante hat eine computergesteuerte Prothese von der Auguste-Viktoria-Klinik

Von Moritz Winde (Text und Fotos)
Bad Oeynhausen (WB). Andreas Brante geht in die Hocke, streckt sein Bein wieder und beginnt zu laufen. Nichts ungewöhnliches, wenn man nicht weiß, dass sein linkes Bein vor 22 Jahren nach einem schweren Motorradunfall ab der Höhe des Knies amputiert ist. Dank einer computergesteuerten Prothese, die sich den Bewegungen anpasst, kann der 45-Jährige ein beinahe unbeschwertes Leben führen.

»Als ich vor 22 Jahren aus dem Koma aufwachte und merkte, dass mir ein Bein fehlt, war ich geschockt«, sagt der Konditormeister aus der Südstadt. Dass er jemals wieder unbeschwert gehen könnte, hielt er damals nicht für möglich. Der junge Mann, gerade verheiratet, sank damals in ein mentales Loch. Er musste das Laufen mittels einer einfachen Prothese vollständig neu erlernen. Waren die Hilfsmittel vor 22 Jahren noch begrenzt, so sind die mikroprozessorgesteuerten Kniegelenksysteme von heute ein wahres Wunderwerk der Technik.
Treppensteigen ist für Andreas Brante schon längst kein Hindernis mehr. Er steigt sie hinab wie gesunde Menschen. Selbst Fahrradfahren, Inline-Skaten und Tanzen stellen für den Familienvater kein Problem mehr da. Andreas Brante war der erste Patient, der vor fünf Jahren das so genannte C-Leg, ein Computerbein, in der Auguste-Viktoria-Klinik (AVK) erhalten hat. Seitdem sind fünf weitere Patienten dazu gekommen.
Der Konditormeister steht nun wieder mit beiden Beinen fest im Leben. Für seine Sicherheit und seinen nahezu normalen Gang sorgt eine ausgefeilte Steuerungstechnik. »Sensoren messen 50 Mal in der Sekunde den aktuellen Bewegungszustand der Prothese. Mikroprozessoren im Knie steuern anhand dieser Daten den gesamten Zyklus des Gehens«, erklärt Andreas Münster, Orthopädietechniker der AVK.
Andreas Brante hat die Möglichkeit, bei dem aus Carbon bestehenden, intelligenten Kniegelenksystem zwischen zwei Modi zu wählen: Das eine Programm ist für das tägliche Leben, das andere ist frei wählbar - beispielsweise zum Fahrradfahren oder zum Wandern. Der Orthopädietechniker kann dem im Knie eingebauten Softwarechip die entsprechenden Informationen eingeben. Durch dreimaliges, gezieltes Wippen der Ferse wird der Modus dann gewechselt. Es ertönt ein Piepton, der dem Patienten den Wechsel signalisiert. »Ich sage immer, ich schalte in den zweiten Gang«, scherzt der Konditormeister. Das Kniegelenk reagiert unmittelbar auf Gangänderungen oder Bodenunebenheiten. Es denkt mit - und bietet daher ein hohes Maß an Sicherheit.
23 000 Euro kostet das System, das von der Otto-Bock-Health-Care GmbH in Duderstadt entwickelt wurde. Im Fall von Andreas Brante ist die Berufsgenossenschaft der Kostenträger, da er auf dem Nachhauseweg von der Arbeit mit dem Motorrad verunglückte. »Ich hätte aber alles daran gesetzt, das Geld auch selbst aufzubringen. Denn das C-Leg erleichtert mir das Leben ungemein«, sagt er.
Wenn der Bad Oeynhausener abends zu Bett geht, schließt er den Prothesenakku zum Aufladen an die Steckdose an. »Gleich neben dem Handy«, schmunzelt Brante. Auch der Zigarettenanzünder im Auto dient zur Energieversorgung. Maximal 45 Stunden hält die Batterie, bevor sie wieder ans Stromnetz angeschlossen werden muss.
Einmal im Jahr schaut Andreas Brante zur Nachsorge in der AVK vorbei. In der orthopädischen Werkstatt werden nicht nur mechanische Einstellungen an den Ventilen der Beinprothese vorgenommen. Andreas Münster überprüft per Computer auch die Software des Systems, das Andreas Brante einen großen Teil an Lebensqualität nach seinem schweren Unfall zurückgegeben hat.
l Die orthopädische Werkstatt der Auguste-Viktoria-Klinik veranstaltet am 24. März in der Zeit von 10 bis 18 Uhr einen Informationstag zum Kniegelenksystem C-Leg. An Oberschenkelamputierten wird die neue Technik gezeigt.

Artikel vom 04.03.2006