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15 Jahre Gefängnis möglich

Rheda-Wiedenbrücker verletzte seine Kinder mit einem Teppichmesser

Von Dirk Bodderas
Rheda-Wiedenbrück/Bielefeld (WB). Prozessauftakt gegen Dieter M. (Namen geändert): Der Parkettlegermeister muss sich seit gestern vor dem Bielefelder Landgericht dafür verantworten, dass er seine beiden Kinder Lina (heute 5) und Toni (8) am 29. Mai 2005 mit einem Teppichmesser schwer verletzt hat. Auch sich selbst brachte der 37-jährige Rheda-Wiedenbrücker eine Schnittwunde bei. Hintergrund der Bluttat: M. hatte zwei Tage zuvor ein Telefongespräch mitgehört, in dem seine Frau Simone mit ihrer Schwester von Trennung sprach...

Das mögliche Strafmaß: zwischen Bewährung und 15 Jahren Haft. Während Staatsanwalt Dieter Heidbrede von einer »Misshandlung Schutzbefohlener und gefährlicher Körperverletzung« bei »erheblich verminderter Schuldfähigkeit auf Grund eines schweren Affektes« ausgeht, hält die III. Strafkammer unter Vorsitz von Reinhard Kollmeyer auch eine Verurteilung wegen versuchten Totschlags - diese Meinung vertritt der Rechtsanwalt der Nebenklägerin, Bernd Junker aus Rheda-Wiedenbrück - oder sogar versuchten Mordes nicht für ausgeschlossen.
Dieter M. wollte gestern zum Tathergang keine Angaben machen, erzählte aber freimütig aus seinem Leben und von seinem beruflichen Werdegang. Derweil verweigerte seine Frau die Aussage und zog sich in die Zuschauerreihen zurück. Und so musste sich das Richtergremium auf die Darstellungen von Psychologen und dem Gütersloher Ermittlungsrichter Ulrich Koschmieder verlassen, der auf ein »Häufchen Elend« traf, als ihm Dieter M. am 30. Mai des vergangenen Jahres vorgeführt wurde. M. habe zu seiner Tat gestanden, sei offen und ehrlich gewesen - auch wenn er wohl nicht wusste, warum er das alles getan hatte. M.'s Psychologin nennt ihren Patienten einen »Meister der Verdrängung«.
War die Tat geplant? Mit dem Abschiedsbrief habe er seiner Frau klarmachen wollen, was es heißt, verlassen zu werden. »Du wolltest mich verlassen. Das machen wir selber und gehen für immer«, war unter anderem auf dem Papier zu lesen. M. hatte zudem in seinem Computer alle Passwörter entfernt, um seiner Frau nach seinem Tod freien Zugriff auf die Daten des Firmencomputers zu ermöglichen.
Am Sonntag nach besagtem Telefonat zwischen Simone M. und ihrer Schwester fuhr Dieter M. mit seinen beiden Kindern zur Firmenhalle an der Stromberger Straße. Da sei ihm plötzlich alles bewusst geworden - die Trennungsabsicht seiner Frau, der mögliche Verlust seiner Kinder. Er habe sich mit ihnen unterhalten, man habe sich die gegenseitige Liebe gestanden; Lina und Toni hätten gesagt, dass sie nicht wegwollten; Dann habe er mit einem Teppichmesser erst dem Sohn, dann der Tochter und schließlich sich selbst in den Hals geschnitten. Doch plötzlich seien ihm Zweifel gekommen, ihm sei schwarz vor Augen geworden. M., so notierte ein Psychologe die Aussage des Angeklagten, sank auf den Boden und vergrub sein Gesicht in den Händen. Toni lief aus dem Gebäude und bat Passanten, die Polizei zu rufen. Als die Rettungskräfte anrückten, kam M. wieder zu sich. Die Tochter lag auf seinem Rücken, atmete. Dem Psychologen sagte M. später: »Das war ich gar nicht. Ich liebe meine Kinder und meine Frau über alles. Das passt nicht zu mir, ich habe Leute immer verurteilt, die ihren Kindern etwas antun.«
Die geschockten Geschwister werden nach Ansicht eines Psychologen wohl noch viele Jahre unter dem Erlebten leiden. Eine Aussage vor Gericht wurde ihnen wegen der Gefahr einer Retraumatisierung erspart. Toni, der bereits durch eine überstandene Leukämie traumatisiert wurde, bekommt Hilfe in einer psychiatrischen Tagesklinik für Kinder und Jugendliche. Ein Wiedersehen mit seinem Vater ist derzeit undenkbar. Lina wird ambulant behandelt.
Das Urteil wird am kommenden Montag gesprochen.

Artikel vom 03.03.2006