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Claudia Wilmsmeyer trägt einen
indischen Säugling auf dem Arm.

Praktikum im
Land Ghandis

Claudia Wilmsmeyer in Indien

Von Moritz Winde (Text und Fotos)
Löhne (WB). Es ist beeindruckend, mit welcher Begeisterung Claudia Wilmsmeyer von ihren Erlebnissen in einem der ärmsten Länder dieser Welt spricht. Während es viele Gleichaltrige nach dem Abitur nach Amerika zieht, entschied sich die angehende Medizinstudentin für ein dreieinhalbmonatiges Praktikum in Indien.

In den Slums wurde die 19-Jährige dort auf eine harte Probe gestellt.Für Claudia Wilmsmeyer stand bereits vor ihrem Abschluss fest, die freie Zeit vor ihrem Medizinstudium, das sie voraussichtlich zum Wintersemester 2006 in Münster aufnimmt, sinnvoll zu nutzen. »Ein Auslandsaufenthalt war schon immer mein Traum. Ich wollte unbedingt in ein Entwicklungsland, um direkt an der Basis zu arbeiten«, sagt die Löhnerin, die mit ihrem Freund Christoph in einer gemeinsamen Wohnung in Obernbeck wohnt. Das Ziel vor Augen nahm sie Kontakt mit Pfarrer Michael Heß aus Löhne-Ort auf, der sie während ihrer Konfirmationszeit begleitete. Heß pflegt schon seit vielen Jahren eine Partnerschaft mit einer Kirche in Ranchi, im Nordosten Indiens. »Er organisierte für mich das Praktikum«, sagt Claudia Wilmsmeyer, die sich frohen Mutes, allerdings mit einem Kribbeln im Bauch Anfang Oktober 2005 auf den Weg in die Fremde machte.
Per Flugzeug ging es von Hannover über London nach Kalkutta. Obwohl sich die 19-Jährige in vielen Fachbüchern auf den mit weit mehr als einer Milliarden Einwohnern zweitbevölkerungsreichsten Staat der Erde informierte, musste sie einige Male schlucken als sie auf dem vom Monsun vollkommen überfluteten Flughafen landete. »Eine Horde Kinder zerrte an meiner Kleidung und bettelte vor Hunger. Die Taxifahrer versuchten mich ins Fahrzeug zu drängen«, berichtet Claudia Wilmsmeyer, wie sie die Armut der Menschen am eigenen Leib zu spüren bekam. »Ein befremdliches Gefühl«, schwankt sie zwischen Mitleid und Ablehnung. Mehr als eine Stunde musste die junge Frau auf den ihr zugesicherten Abholservice warten. Doch auf Pünktlichkeit werde in Indien kein Wert gelegt.
In einem kleinen Zimmer im dritten Stock des Health-Care-Centers, einer Art Lazarett mitten in den Slums der Stadt Ranchi, war die genügsame Deutsche untergebracht. Wegen der hohen Kriminalität sollte sie nachts das Gitter vor der Zimmertür verriegeln. Sie versuchte sich im täglichen Leben auf der Straße den Gepflogenheiten anzupassen. Daher vermummte sie ihren Körper, wie es die Kultur den Frauen vorschreibt, mit einem Sari, seidenem Gewand. »Ich wurde aber sehr herzlich von den Indern aufgenommen«, berichtet Claudia Wilmsmeyer. Obwohl sie bis dahin keinerlei medizinische Erfahrung hatte, wurde sie in den Klinikalltag voll miteinbezogen. »Ich habe den zwei indischen Ärztinnen bei allen Behandlungen assistiert«, sagt die 19-Jährige. Problematisch war nicht nur das mangelnde Sprachverständnis - englisch verstand kaum einer - sondern auch die Hygiene war bedenkenswert. »Zwei Paar Handschuhe mussten für einen Tag ausreichen«, sagt Claudia Wilmsmeyer, die nicht nur Patienten mit ansteckenden Krankheiten wie Tuberkulose, Malaria und Lepra behandelte. Als Hebamme musste sie sich beweisen. »Das schönste Erlebnis war die Entbindung des ersten Säuglings, bei der ich geholfen habe«, erinnert sich die angehende Medizinerin gerne an diesen einmaligen Moment.
Viele Andenken an ihr außergewöhnliches Praktikum hat Claudia Wilmsmeyer aus Indien nach Löhne mitgebracht. Eines davon trägt sie gut sichtbar mitten auf der Stirn. »Der schwarze Punkt heißt ÝBindiÜ. Er wird von den Frauen zur Verschönerung des Gesichtes getragen«, erklärt sie. Trotz der Strapazen und eines großen finanziellen Aufwands würde die junge Löhnerin liebend gerne wieder nach Ranchi zurückkehren. »Dann aber als ausgebildete Ärztin, um den Menschen vor Ort noch besser helfen zu können.«

Artikel vom 04.03.2006