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Sympathie für Ärzteprotest

Verler Mediziner informieren über Fallen im Gesundheitssystem

Verl (köh). Die Diagnose ist deprimierend, eine Therapie kann nur mit Hilfe der Politik gelingen: So schätzen die Verler Ärzte ihre Situation im Schatten der Gesundheitsgesetzgebung ein. Um auf Widersprüche im Gesundheitssystem und einschneidende Benachteiligungen von Ärzten und Patienten aufmerksam zu machen, gingen sie gestern in Verl auf die Straße.

Als Dr. Klaus Wiethoff um 9 Uhr im Edeka-Markt den Infostand eröffnete, begann für die Ärzteschaft ein erfolgreicher öffentlichkeitswirksamer Tag. »Die Leute sind sehr interessiert«, freute sich Orthopädiefacharzt Dr. Winfried Brunner, der gemeinsam mit dem Neurologen Dr. Ulrich Lienke im Foyer des Marktes an der Österwieher Straße die erste »Zweistundenschicht« übernommen hatte und Flugblätter verteilte. »Viele sind dankbar, endlich einmal verständlich informiert zu werden«, stellte Dr. Lienke fest. Und die meisten zeigten Sympathie für die Sache der Ärzte, schließlich sei der Protest ja auch im Sinne der Patienten, wie der 80-jährige Herbert Kowalzig meint: »Ich verfolge das Geschehen in den Medien genau und finde, es ist eine Schande, was da passiert. Ich kann die Ärzte gut verstehen.« Das meint auch Anita Ilchmann (61): »Ich bin für den Protest, er dient Ärzten und Patienten gleichermaßen.«
Dass die Verler Mediziner den Kontakt zu den Bürgern suchen, um auf die Probleme aufmerksam zu machen, wird von vielen sogar dankbar aufgenommen, wie etwa von Christine Kleinemas (62): »Erst war ich ja schlecht auf die Proteste zu sprechen, aber jetzt stelle ich fest, dass es auch keine besonders hilfreichen Informationen gab. Hier bin ich wirklich gut informiert worden, sehe jetzt klarer und meine: Die Ärzte haben nicht Unrecht.« Mitleid mit den Ärzten und mit den Rentnern hat Frieda Pramur (74): »Für die Ärzte ist es nicht einfach, die stehen unter hohem Druck. Und wir Rentner sind auch arm dran: Wir brauchen regelmäßig Medikamente, die sind teuer und wir müssen immer mehr selber bezahlen.«
So viel Verständnis tut gut, meint Dr. Brunner. Noch besser aber wäre es, wenn von der Politik in Kürze ein klares positives Signal käme. »Sonst gibt es bald wieder eine große Aktion der Ärzteschaft«, kündigt er an. »Es besteht eine große Entschlossenheit«, beschreibt Dr. Lienke die Gefühlslage und Dr. Brunner fügt hinzu: »Wir sind uns alle einig.« Normalerweise seien Ärzte ja eher unpolitische Zeitgenossen. Wenn aber zehntausende auf die Straßen gingen wie in Berlin, sei dies ein deutliches Zeichen.
Der wohltuende Rückenwind von den Bürgern, den die Ärzte bis abends um 19 Uhr erlebten, war ein Trostpflästerchen und ein kleines Stückchen Hoffnung. Aber er könne natürlich nicht die Existenz- und Zukunftsängste der Ärzte nehmen, wie der Allgemeinmediziner Franz-Josef Menze betont. Bereits heute könnten im Kreis Gütersloh 13 vakante Allgemeinpraxen nicht vergeben werden, weil der Nachwuchs fehle. Und das Arzneimittelspargesetz und mögliche Regresse der Krankenkassen könnten schon bald viele Praxen in den Ruin treiben. »Viele denken schon über eine berufliche Alternative nach«, verdeutlichen Dr. Brunner und Dr. Lienke.

Artikel vom 03.03.2006