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Pro Musica erbt Flügel aus
Nachlass von Fritz Bokämper

Als Dank für die Spende zum Ehrenmitglied ernannt

Von Jörg Seyffarth
Lübbecke (WB). Vor Gründung der Musikschule Lübbecker Land gab es in Lübbecke seit Mitte der 30er Jahre nur zwei Privatmusiklehrer. Einer davon war Fritz Bokämper. Im Jahr 1904 auf einem Bauernhof in Horsts Höhe geboren, war er von Geburt an blind. Er besuchte die Blindenschule in Soest, wo man sein musikalisches und sprachliches Talent entdeckte, und machte dort Abitur. Jetzt ist die Lübbecker Musikschule pro Musica Erbe eines Flügels aus seinem Nachlass geworden.
In diesem Haus an der Pettenpohlstraße lebte Fritz Bokämper. Hier stand einst auch der Ibach-Flügel, der der Musikschule zum Geschenk gemacht wurde.
Nach fünfjährigem Studium am Konservatorium in Dortmund bestand er seine Examina als Klavier- und Violinpädagoge. Ende 1937 bestand er auch noch eine Prüfung als Kirchenmusiker. Zu dieser Zeit war er schon einige Jahre mit seiner englischen Frau May verheiratet, die er bei einem Austausch in England kennen gelernt hatte und die in einer englischen Sozialeinrichtung für Blinde tätig war. Er spielte acht Musikinstrumente und beherrschte neun Sprachen, darunter Hebräisch, Latein und Altgriechisch.
Die großen Leipziger Musikverlage veröffentlichten ihre Programme auch in Blindenschrift. Er musste ja sein ganzes Repertoire auswendig lernen. Beim Erlernen von Klaviermusik wurde jeweils mit einer Hand gelesen und mit der anderen Hand gespielt. Bei der Violine braucht man beide Hände zum Spielen, so musste abschnittsweise vorgegangen werden: Erst lesen und dann spielen.
Vor dem Kriege bekam er aus politischen Gründen keine öffentliche Anstellung. Er lebte als Musik- und Sprachlehrer im seinem Haus in der Pettenpohlstraße, das sein Vater als Maurerpolier bei der Baufirma Schröder gebaut hatte. Eine Unterrichtsstunde kostete damals zwei RM. Seit Mitte der 30er Jahre veranstaltete er jeden Winter er ein Schülerkonzert, zunächst im Hotel Schlüter - durch eine Kaffeepause unterbrochen -, später in der Aula der Aufbauschule. Hier präsentierten sich seine Schüler in einem umfangreichen Programm mit zwei- und vierhändigen Klavierstücken, Duos für zwei Geigen und Sonaten für Violine und Klavier. In den Programmen sind viele bekannte Lübbecker Namen zu finden. Im Jahr 1941 gibt es sogar ein Konzert zum Gedenken des 150. Todestages von W.A. Mozart.
Etwa 1938 kaufte sich Fritz Bokämper einen Ibach-Flügel. Wie sich ehemalige Schüler erinnern, durften nur Auserwählte (etwa zehn Prozent) auf diesem Instrument spielen. Gestanden ihm seine Zöglinge beim Musikunterricht Schulprobleme, so wurde aus mancher Klavierstunde spontan eine Latein-Nachhilfestunde.
Gleich nach Kriegsende traf der elfjährige Sohn Walter bei Holzhausen auf eine britische Panzerkolonne auf dem Weg nach Berlin, die ihn per Anhalter mit in die Stadt nahm. Während der Fahrt berichtete er, dass seine Mutter gebürtige Engländerin sei und sein Vater Musiklehrer. Auch berichtete er von dem Flügel in der elterlichen Wohnung. Ein musikbegeisterter Offizier wurde hellhörig und dirigierte die Kolonne in die Pettenpohlstraße. Bei einer englischen Teestunde mit Beethovenmusik auf dem Flügel war das Eis zwischen Siegern und Besiegten schnell gebrochen. Trotz allem wurde das Haus während der Besatzungszeit von den Engländern beschlagnahmt, da half es auch nicht, dass May Bokämper Engländerin war. Bis 1951 wohnte die Familie in der Gerbergasse.
Auf Grund seiner Englischkenntnisse wurde Sohn Walter Dolmetscher bei den Engländern, da er dank seiner Jugend als politisch unverdächtig galt. So musste er mit englischen Offizieren im Landratsamt nach Kraftfahrzeugen forschen, die man beschlagnahmen konnte. Manchmal besuchte er dank seines Passierscheins bis 21 Uhr am Abend die betroffenen Fahrzeughalter und empfahl ihnen, schnellstens das Auto aus der Garage zu entfernen. Einmal ging es allerdings schief, da ein betroffener Geschäftsmann einen Antrag bei der Besatzungsmacht auf Wiedereröffnung seines Betriebes laufen hatte. Um diesen nicht zu gefährden, gab er lieber sein Auto preis und verpfiff den Jungdolmetscher. Das war für diesen ein Karriereknick und er musste mehrere Wochen mit seiner Mutter in die Verbannung außerhalb Lübbeckes.
Nach dem Kriege hatte niemand Geld für Musikunterricht, und so verdiente Fritz Bokämper seinen Lebensunterhalt zunächst mit Sprachunterricht bei den Engländern. In den Wirtschaftswunderjahren lernte man auch wieder Klavier und Geige. Seit 1953 spielte Fritz Bokämper daneben die Orgel in der Friedhofskapelle. Er starb 1983 im Alter von 79 Jahren. Der Flügel verstummte für die nächsten Jahre.
May Bokämper hatte zu ihrem 100. Geburtstag viel Besuch von ehemaligen Schülern ihres Mannes, die auch ihr die Treue hielten. So spielte eine ehemalige Schülerin - eine der ehemals spielberechtigten Auserwählten und selbst mittlerweile im Rentenalter - auf Wunsch und zur größten Freude der Jubilarin einen Choral auf dem Flügel. Als älteste Bürgerin Lübbeckes starb May Bokämper Anfang vergangenen Jahres im Alter von 102 Jahren.
Sohn Walter, seit Jahren in der Nähe Münchens zu Hause, beschloss, den Flügel der Musikschule Pro Musica zu schenken. Nach aufwändiger Renovierung - neue Saiten, neue Befilzung und neu ausgebleite Tastatur zur Erzielung eines gleichmäßigen Anschlags für 6500 Euro - wird er nach Meinung von Fachleuten weitere 70 Jahre seinen Dienst tun. Nun steht er im Bürgerhaus zur großen Freude von Lehrern und Schülern der Musikschule. Unter letzteren sind bereits mehrere Enkelkinder von ehemaligen Schülern Fritz Bokämpers So verkörpert dieser Flügel ein Stück Lübbecker Musikgeschichte und hält die Erinnerung an einen außergewöhnlichen Bürger wach.
Bei seinem Besuch in Lübbecke Ende November 2005 konnte der renovierte Flügel dem Stifter vorgeführt werden. Als Dank für diese großzügige Spende ernannte die Mitgliederversammlung von Pro Musica Walter Bokämper zum Ehrenmitglied.

Artikel vom 25.02.2006