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Kommissar Zufall
beschert Zeitzeugen

Annonce in Rumänien führt zu Herforder Arzt

Herford (ram). Gisela De Pagter ist das Glück der Tüchtigen widerfahren. Die pensionierte Lehrerin (Jahrgang 1939) aus Herford schreibt derzeit ihre Magisterarbeit an der Universität Bielefeld, Fachgebiet osteuropäische Geschichte. Um mehr über die Siebenbürger Sachsen zu erfahren, fuhr Gisela De Pagter im Dezember nach Rumänien. Hermannstadt (rumänisch Sibiu) war ihr Ziel, auf der Suche nach Zeitzeugen. Eine kleine Annonce in einer deutschsprachigen Zeitung führte die Historikerin auf die Fährte eines gewissen Dr. Peter-Christian Lissai, wohnhaft in . . .  Herford.

»Da gilt dann wohl das Motto, warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah«, sagt die ehemalige Lehrerin der Geschwister-Scholl-Schule schmunzelnd. Wieder zurück in Herford, setzte sie sich sofort ans Telefon und mit dem ehemaligen Leiter der Anästhesie am Mathilden-Hospital in Verbindung. »Der Anruf hat mich schon überrascht. Ich freue mich, dass sich jemand aus Herford für meine alte Heimat interessiert«, sagt Dr. Lissai. Der Mediziner zog 1981 aus Hermannstadt zunächst ins westfälische Münster und gelangt über Bonn 1984 ans Mathilden-Hospital nach Herford. Dort war er 17 Jahre lang Leiter der Anästhesie.
Der 70-Jährige erinnert sich noch gut an seine Kindheit in Siebenbürgen. Er erzählt vom alten Hermannstadt, in dem während des 2. Weltkrieges zunächst die Deutsche Wehrmacht Station machte und das später von russischen Truppen besetzt wurde. Seine 96-jährige Schwiegermutter lebt noch heute in der 170 000-Einwohner zählende Stadt, die im kommenden Jahr zusammen mit Luxemburg den Titel europäische Kulturhauptstadt tragen wird.
Eine Exkursion im Jahr 2000 mit der Uni Bielefeld weckte bei Gisela De Pagter das Interesse für die Region. Sie tauchte ein in die über 800 Jahre alte Geschichte der Siebenbürger Sachsen, die sich wohl als Moselfranken im 12. Jahrhundert im heutigen Transsilvanien angesiedelt haben. »Vorher war die Region auch für mich ein weißer Fleck auf der Landkarte«, gesteht Gisela De Pagter. Das ist heute anders. Zahlreiche Bücher und Zeitungsartikel hat sie über die Siebenbürger Sachsen gelesen, Interviews mit Einheimischen auf Tonband aufgezeichnet, einen Fragebogen entwickelt. Stets war sie auf der Suche nach Zeitzeugen. Der Zufall stand Pate im Fall von Dr. Lissai.
Bis Anfang April hat Gisela De Pagter für ihre Arbeit noch Zeit, dann ist Abgabetermin. Den Titel ihrer Magister-Arbeit hat sie bereits formuliert: »Sie verließen ihre Heimat - Untersuchung zum Fortgang der Siebenbürger Sachsen«.
Viele geschichtsträchtige Bauten sind in Hermannstadt zu bewundern. Die Stadtväter haben sich darum beworben, dass sie in die Liste Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen werden. »Bis dahin muss aber noch viel passieren«, sagt Gisela De Pagter. Der Zahn der Zeit nage an vielen historischen Gebäuden im Zentrum.

Artikel vom 21.02.2006