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Kurt Tucholsky in all
seinen Facetten vorgestellt

Lesung mit Nadja Gruhn in Warburger Buchhandlung

Warburg (sf). In den Räumen der Warburger Buchhandlung Podszun las die Schauspielerin Nadja Gruhn am Dienstag aus den Schriften von Kurt Tucholsky (1890-1935) vor.

Nadja Gruhn konnte mit ihren Ausdrucksmöglichkeiten einer Schauspielerin Tucholskys ganze Vielseitigkeit vorstellen: politisch, romantisch, anzüglich, melancholisch, aggressiv und resigniert. Sie zitierte aus Briefen an seine Geliebte und spätere zweite Ehefrau Mary Gerhold, anschließend präsentierte sie eine überschwängliche bildreiche Passage über das Verliebtsein aus seinem ersten Buch »Rheinsberg«. Dann kamen verschiedene Gedichte und gesungene Liedertexte (er schrieb sie für einige der bekanntesten Komponisten der Weimarer Rebublik wie Friedrich Holländer) sowie eine bissige und mutige Abrechnung mit Josef Goebbels.
Nicht nur Tucholskys Schriften, sondern auch sein Lebensweg als Liebender, Publizist, Antimilitarist und gescheiterter Warner vor den Nationalsozialisten zeigt, wie er versuchte, alle Themen, die das Leben und die Welt ihm boten, ganz auszuloten.
Darin liegt auch seine Begründung dafür, sich für die von ihm herausgegebene Wochenschrift »Schaubühne« (später: »Weltbühne«) vier Pseudonyme zuzulegen, unter denen er über unterschiedlichste Themen schrieb: Kunst, Politik, Justiz und Liebe. Tucholsky nahm an, dass die Leser es einem einzelnen Mann nicht zutrauen würden, diese Themenvielfalt gleichermaßen gut zu beherrschen. Ignaz Wrobel stand unter den scharfzüngigen und klar Stellung beziehenden politischen Texten, Kaspar Hauser unter den melancholischen Feuilletons, Theobald Tiger unter den witzigen oder erotischen Texten und Peter Panter unter dem Sanften, Genießerischen und den Rezensionen. Was Tucholsky besonders am Herzen lag, unterschrieb er mit seinem eigenen Namen. Sein Stil und vor allem seine Art, das Leben zu beobachten, sind heute noch sehr lesenswert.
Mit etwa 50 Zuhörern war diese erste Lesung, die in der Buchhandlung Podszun stattfand, gut besucht. Besonderen Beifall erhielt Nadja Gruhn für ihren authentischen Berliner Dialekt, den sie sich wohl nicht erst mühsam aneignen musste, denn sie ist in Berlin-Steglitz aufgewachsen. Heute lebt sie Marsberg und arbeitet zumeist im Ruhrgebiet. Der Besitzer der Buchhandlung, Walter Podszun aus Brilon, war mit seiner ersten Lesung in Warburg sehr zufrieden und kann sich eventuell vorstellen, so etwas regelmäßiger zu veranstalten - vielleicht die nächste im Herbst.

Artikel vom 16.02.2006