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Als Flipperkugel
durch die Politik

Urban Priol begeisterte 500 Fans

Scherfede (thö). Die Kanzlerin, der Bundespräsident, Bürokratieabbau, Gesundheitsreform, private Altersvorsorge und die Mohammed-Karikaturen: Wie eine Flipperkugel schoss Urban Priol am Samstagabend in Scherfede verbal ohne Punkt und Komma durch das aktuelle innen- und weltpolitische Geschehen.

In Scherfede führte der bekannte Kabarettist auf Einladung des Kulturbüros OWL und des Kulturvereins »KiS« sein Programm »Täglich frisch« auf. 500 Fans wollten den Aschaffenburger in der Mehrzweckhalle sehen.
Mit orangegeblümtem Hemd, dazu passenden Schuhen im Basketballdesign und der für ihn typischen Stehhaarfrisur hinter der Stirnglatze präsentierte sich der Franke mit dem losen hessischen Mundwerk auf der Bühne gewohnt wortwitzig. Die Vorstellung lebte vor allem von der ausgefeilten Mimik und Gestik Priols.
Sein Lieblingsthema war die große Koalition. Auf dem Kieker hatte Priol drei Stunden lang immer wieder »Hosenanzuglady« Angela Merkel, eine Frau, der es ohne Probleme gelinge, Wladimir Putin mit ihrem Charme erstarren zu lassen. »Wenn die in Moskau landet, fällt die Temperatur urplötzlich um zwanzig Grad«, lästerte Priol. Überhaupt hinterlasse die neue Kanzlerin eine Spur der Verwüstung in der Welt. »Kaum hat hat sie die Münchner Sicherheitskonferenz verlassen, da bricht das Schneechaos über Ostbayern herein.«
Familienministerin Ursula von der Leyen, als »Unions-Barbie mit fest getackertem Lächeln« verspottet, bekam ebenso ihr Fett weg wie »Verbrauchter-Minister« Horst Seehofer. So brachte Priol eine Pointe nach der anderen, das Publikum dankte es ihm mit tosendem Beifall.
Die Bundesrepublik erscheint dem Comedian wie »ein Land, das gar nicht so viele Ärmel hat, wie es aufkrempeln müsste.« Die Deutschen seien Nicht-Weltmeister im Kinderkriegen, aber Weltmeister im SMS schreiben und Klingeltöne herunterladen. »So kann das auch nichts werden«, befand Priol und hatte auch gleich die Lösung des Problems parat: Seitensprünge sollten erleichtert werden, immerhin gelte in den meisten europäischen Ländern das Verhältniswahlrecht. Köstlich waren Priols Parodien. Abwechselnd gab er Lispel-Rüttgers, Nuschel-Lindenberg, Näsel-Schröder und Sozial-Bonsai Norbert Blüm (»die Rennde is sischa«).
Manchmal wurde das Programm seinem Titel allerdings nicht gerecht. Kopftuchstreit, Lkw-Maut-Pannen, Visa-Affäre, Gerichtsshows und Daniel Küblböck waren abgegraste Themen von vorgestern, für die sich das Publikum kaum mehr interessierte. Wenig Anklang fanden auch Witze über Bundespräsident Horst Köhler.
Obwohl während des Programms auch Klischees bedient wurden, hat sich der Abend gelohnt. Das sahen die Zuschauer in der fast ausverkauften Mehrzweckhalle genauso. Zweimal riefen sie den Künstler zu Zugaben zurück auf die Bühne. Dann, drei Stunden und zwei Gläser Weizenbier (alkoholfrei natürlich) später, stand Urban Priols Mundwerk wieder still.

Artikel vom 13.02.2006