11.02.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Von Pfarrerin Antje Eltzner-Silaschi

Das Wort zum Sonntag


Mittlerweile gibt es in fast jeder Klinik in Bad Oeynhausen einen Raum der Stille. In diesen Räumen gibt es regelmäßig Andachten. Außerdem sind sie immer geöffnet für all die Patienten, die sich für einen Moment zurückziehen wollen, für die, die das Gespräch mit Gott suchen und beten möchten. Dass diese Räume aufgesucht werden, merken wir Seelsorger an vielen Stellen, so wenn sich jemand mit einem Gebetsanliegen in das Gästebuch einträgt, seine Not niederschreibt oder aber das aufgeschlagene Losungsbuch liegen lässt.
Vor ein paar Wochen allerdings gab es ein Zeichen der Anwesenheit, das merkwürdig war und uns an eine Wunderheilung glauben ließ. Ich entdeckte in einer Ecke eine Unterarmgehstütze. Auch am Tag danach war sie noch da. Also schrieb ich einen Zettel für die Person, die diese Gehstütze möglicherweise vermissen würde, mit dem Hinweis, dass die Gehstütze am Empfang liege. Sie liegt auch Wochen später immer noch dort, wo man Verlorenes am ehesten sucht. Nun könnte man spekulieren, ob dieses Hilfsmittel wohl nach intensivem Beten nicht mehr gebraucht oder schlicht vergessen wurde, aber mir gefällt der Gedanke, dass Menschen einen Raum in der Klinik in Anspruch nehmen, in dem sie das Gefühl haben, Gott nahe zu sein, mit ihm sprechen und vor ihm klagen dürfen. Und mir gefällt der Gedanke, dass es Menschen hilft, einen solchen Raum vorzufinden, auch wenn nicht jeder plötzlich ohne Gehhilfen den Raum verlassen wird. Vielleicht haben schon mehr Menschen im übertragenen Sinn Gehhilfen dort vorgefunden, denn nicht alle Patienten humpeln rein äußerlich. Viele schleppen seelische Lasten mit sich herum, die sie innerlich hinken lassen und die ihnen die Kraft nehmen, die sie brauchen, auch körperlich gesund zu werden. Und so entdecke ich manchmal auch mehrere Einträge einer Person im Gästebuch, die einen Gesundungsprozess nachzeichnen und betonen, wie wichtig auch diese innere seelische Heilung gewesen ist.
Im Wochenspruch für die kommende Woche heißt es: »Wir liegen vor dir mit unserem Gebet und vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit.« (Daniel 9,18). Dieser Vers ist ein Schrei im Schmerz und in der Verzweiflung. Daniel ist der Boden unter den Füßen weg gezogen worden, er gehört zu den Übriggebliebenen nach einem schrecklichen Krieg. Diese Erfahrung hat sein Gebetsverhalten verändert. Er liegt, am Boden zerstört. Er weiß, dass er mit all seinem Wissen und seinen Erfahrungen nichts mehr ausrichten kann. Es gibt für ihn aber noch einen, dem er sich anvertrauen kann, einen, der ihm zuhört, einen, den unser Schmerz anrührt, und dieser eine ist der Gott der großen Barmherzigkeit. Wie gut, dass kranke Menschen, die in unsere Stadt kommen, hier Orte finden, an denen sie ihren Schmerz im Gebet vor Gott bringen und dort auch lassen können.

Artikel vom 11.02.2006