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Plötzlich konnten sie
nicht mehr sprechen

Aphasiker-Selbsthilfegruppe unterstützt Betroffene

Herford (wst). Die Gruppe, die an diesem Montag im AWO-Begegnungszentrum in der Kastanienallee zusammengekommen ist, ist bunt gemischt. Der Fahrschullehrer sitzt neben dem Schausteller, gegenüber dem Opernsänger nimmt die Journalistin Platz. Auch im Alter unterscheiden sich die Anwesenden, der Jüngste ist Anfang 30, die älteste Teilnehmerin 80 Jahre alt. Doch sie alle teilen sich ein Schicksal: den plötzlichen Verlust der Sprache, die Aphasie.

Plötzlich konnten sie nicht mehr kommunizieren, in der Familie, bei der Arbeit, in der Freizeit oder beim Einkaufen nicht mehr das sagen, was ihnen durch den Kopf geht. Der Grund hierfür ist eine Verletzung der linken Hirnhälfe durch einen Schlaganfall, einen Unfall oder einen Hirntumor. Die Aphasiker verlieren nicht völlig ihre Sprache, sind aber in ihrer Fähigkeit zu sprechen und Sprache zu verstehen, schwer eingeschränkt. Unter Umständen kommen noch eine halbseitige Lähmung und Schwierigkeiten beim Lesen hinzu. Hilfe finden die Betroffenen und ihre Angehörigen seit knapp elf Jahren bei der Aphasiker Selbsthilfegruppe Herford. Ruth Noczinsky und Karin Manteufel bieten ihnen dort Beratung und Betreuung. Sie informieren über die Erscheinungsformen und Ursachen der Aphasie, helfen bei Behördengängen und Arztbesuchen. Doch auch das Sprechen wird in der Selbsthilfegruppe geübt. Gerlinde Möller-Grube, die in Herford eine logopädische und krankengymnastische Praxis leitet und die Schlaganfallstation in Klinikum betreut, übt an diesen Nachmittagen mit den Betroffenen den Gebrauch der Sprache. Das ehrenamtliche Engagement der Logopädin ist um so wichtiger, da die Ärzte seit der Gesundheitsreform keine Sprachbehandlungen mehr verschreiben dürfen.
Zu Beginn der Sprachtherapie stellen sich die Teilnehmer vor, danach üben sie mit Bildern und Schriftkärtchen. »Dass sie den Mut finden, vor der Gruppe zu sprechen, stärkt ihr Selbstwertgefühl. Auch helfen sie sich gegenseitig«, berichtet Gerlinde Möller-Grube. Ohne die regelmäßige Übung würden viele Betroffene mit der Zeit immer mehr die Sprache verlieren. »Besonders wenn ein Aphasiker alleine lebt, wird er immer unsicherer und traut sich kaum noch, in der Öffentlichkeit zu sprechen.« Auch kommt es vor, dass ein Aphasiker zu Unrecht als geistig behindert angesehen wird, wenn er beispielsweise beim Einkaufen die Wörter mühsam suchen muss oder undeutlich spricht.
Doch pflegt die Gruppe auch die Geselligkeit. Mit Kaffee und Kuchen eröffnen die Teilnehmer jedes Treffen und drei bis vier Mal im Jahr gehen sie gemeinsam essen oder machen einen Ausflug in die nähere Umgebung von Herford. Die Aphasiker Selbsthilfegruppe trifft sich an jeden zweiten und vierten Montag im Monat im AWO-Begegnungszentrum, Kastanienallee 29, von 16.30 bis 18 Uhr. Interessenten sind jederzeit willkommen. Information zur Gruppe gibt unter anderem Ruth Noczinsky, % 5 61 77.

Artikel vom 07.02.2006