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Verdi und die Synagoge

»Geachtet und geächtet« - ein wundervoller Vortrag

Von Klaudia Genuit-Thiessen
Halle (WB). Die Orgel im Tempel von Jerusalem, die Magrepha, soll so laut gewesen sein, dass ihr Klang noch in Jericho zu hören war. Wer Samstag zur passenden Zeit an der Johanniskirche vorbeigegangen ist, dürfte das Dröhnen der Heintz-Orgel auch von außen gehört haben.

Professor Andor Izsák, der Direktor des Europäischen Zentrums für Jüdische Musik der Hochschule für Musik und Theater Hannover, nutzte das Instrument, das »geachtet und geächtet« wurde, für seine großenteils romantischen Klangbeispiele aus der Orgel in der Synagoge voll aus. Ein kurzweiliger Musikvortrag, höchst informativ, überraschend amüsant und mit jüdischem Humor und Selbstironie gewürzt.
Wie mag die Musik im Tempel geklungen haben? Ein wenig Gregorianik, orientalische Einflüsse -Êbei einem guten Stoff trägt die Melodie auch als Kirchenlied, in einer Verdi-Oper, ja selbst in modernen Pop, wie der gebürtige Ungar eindrucksvoll und durchaus mit Stimme demonstrierte. Nach der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 nach Christus war es bis 1810 vorbei mit der Orgel in der Synagoge. Dann wollte der herzogliche Kammeragent Israel Jacobsohn nicht mehr warten auf »nächstes Jahr in Jerusalem« und stattete die Synagoge in Seesen im Harz mit einer Orgel aus.
Dies war der Beginn einer Zeit, in der viele Juden Kaftane beiseite legten und die Schläfenlocken abschnitten. Der Klang der Orgel in der Synagoge war der in einer christlichen Kirche verwirrend ähnlich, was häufig zum Streit führte. Die Gesänge des Oberkantors Salomon Sulzer (1804 - 1890) ähnelten den romantischen Liedern von Franz Schubert, der für seinen Freund so manche Baritonstimme schrieb. Und der traditionelle Sologesang des jüdischen Kantors verband sich mit Chorgesang (»Auch beim Beten sind Juden sehr pluralistisch und bestimmen das Tempo selbst«) und Orgelbegleitung.
Die Orgel in der Synagoge - das ist auch der Leidensweg des jüdischen Volkes. »Mit der Shoah haben wir sehr viel verloren, auch eine Musik, die ein wesentlicher Bestandteil der europäischen Kultur hätte sein können«, schloss Andor Izsák seinen Vortrag. Doch erst nach dem gemeinsamen Gesang mit dem Publikum endete ein Abend, der viel mehr Zuhörer verdient gehabt hätte.

Artikel vom 06.02.2006