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Bertelsmann
ist reif für
die Börse

Folgen eines Tauschgeschäftes

Von Stephan Rechlin
Gütersloh (WB). »Dies ist ein strategisch und firmenhistorisch bedeutsamer Schritt.« So kommentierte der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann AG die Möglichkeit der neuen Gesellschafter Albert Frère und Paul Desmarais, ihre Anteile an die Börse zu bringen.

Das war im Februar 2001. Der Vorsitzende hieß damals Thomas Middelhoff. Mit einem von ihm eingeleiteten Tauschgeschäft legte er seinerzeit die Saat, die nun, vier Jahre nach seinem Rauswurf, aufgeht. Die Gelassenheit, mit der sein Nachfolger Dr. Gunter Thielen auf den angekündigten Börsengang reagiert, entspringt dem damals geschlossenen Vertrag. Die Bertelsmann AG war seitdem verpflichtet, den Börsengang vorzubereiten - sie wird auch für die damit zusammenhängenden Kosten aufkommen müssen. Die Einführung international anerkannter Steuerungsgrößen, die Umstellung der Buchhaltung auf internationale Standards, die Anpassung des Geschäfts- auf das volle Jahr - allĂ• dies waren keine »freiwilligen« Leistungen des Konzerns, sondern vertraglich vereinbarte Pflichten. »Börsenreife« hieß das Klassenziel.
Die hat Bertelsmann nun erreicht. Weniger durch die interne Pflichterfüllung als durch den wirtschaftlichen Konsolidierungskurs unter Thielen. Der Konzern stoppte die von Middelhoff betriebene Portfolio-Jonglage ohne Sicherheitsnetz, räumte mit den »New Economy«-Altlasten auf und steuert auf eine Ebit-Rendite (Ergebnis vor Finanzergebnis, Steuern und Sondereinflüssen) von zehn Prozent zu. Hinzu kommt ein völlig verändertes Börsen-Klima. Nach dem Tauschgeschäft mit der GBL litt die Börse noch gut zweieinhalb Jahre unter der geplatzten Internet-Blase. Mitte 2004 zogen die Kurse langsam wieder an und erreichen heute wieder Werte wie vor dem »Hype« von 1999/2000. Die günstigen Bedingungen, auf die Albert Frère und Paul Desmarais warten, bevor sie ihre Anteile an die Börse bringen wollen, sind längst vorhanden.
Sobald private Anleger Bertelsmann-Aktien erworben haben, wird sich der Charakter des Unternehmens ändern. Auf Aktionärsversammlungen, in Quartalsberichten und in Analysten- und Investorengesprächen wird es weniger darum gehen, ob die einst von Reinhard Mohn entwickelte Unternehmensverfassung auch umgesetzt wird. Das Versprechen Thielens, die bewährte partnerschaftliche Unternehmenskultur weiterhin zu erhalten, ist wohl eher ein Appell, darum zu kämpfen. Schon während der Belegschaftsversammlung im Herbst monierten Mitarbeiter, dass es den Führungskräften im Hause wesentlich stärker um den wirtschaftlichen Erfolg als um ein partnerschaftliches Miteinander gehe. Dieser Trend dürfte sich in einem börsennotierten Unternehmen verschärfen.
Schließlich werden es Aktionäre auch der Familie nicht so leicht wie bisher machen, ihren Einfluss auszubauen. Die mögliche Absicht, Christoph Mohn beizeiten in den Vorstand zu berufen, dürfte schwieriger, ihn irgendwann zum Vorstandsvorsitzenden zu machen, so gut wie ausgeschlossen sein. Für wen genau der Börsengang zum »strategisch und firmenhistorisch bedeutsamen Schritt« wird, steht noch lange nicht fest. Wirtschaft

Artikel vom 28.01.2006