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»Tierisch« gute Sängerin

Coco Camelle: Schrille Lieder gegen den Wellnesswahn

Von Rainer Maler (Text und Foto)
Paderborn (WV). Auf allen Vieren kommt die Kabarettistin Coco Camelle in ihrem dritten Solo-Programm »Kurkonzert - Songs für die Volksgesundheit« auf die Bühne der Kulturwerkstatt gekrochen und singt vom »lieben Tier in mir«.

Etwas schleppend kommen die Lieder daher, ambivalent zwischen Kabarett, Klamauk und schnippischen Kommentaren zu Wetter und Politik wechseln melancholische Lieder mit kalauernden Reimen. Die Happy-Blues-Sängerin Coco Camelle mit dem dunklen Lockenkopf springt nervös zwischen Gitarre und Ukulele über die Bühne, setzt sich zu nachdenklichen Liedern über den Wahrheitsgehalt von Träumen ans Klavier, philosophiert über Einparkschwächen und upgedatete Treiberkonflikte am Computer.
Im »Dicke-Bohnen-Blues« singt sie eine Liebeserklärung an ein Leib- und Magengericht. Mal gibt sie die schrille Rockröhre, fetzt mit dem Mikrophonständer über die Bühne, mal verkörpert sie die einsame Schmusesängerin mit wehmütigen Phantasien über eine bärtige Marilyn Monroe am Steuer eines Lastwagens. Ihr liegt »das Glück von Ratiopharm für Seele und Darm« zu Füßen, sie muss es nur noch aufheben, aber das fällt schwer.
Coco ist keine wirkliche Kabarettistin. Wenn sie sich kommentierend in die politische Großwetterlage einmischt, bleiben ihre Worte seltsam stumpf, dann springt der Funke nicht über, da hilft auch ein Wetterlied über den Einfluss von Wetterguru Kachelmann auf die Politik nicht weiter. So endete die erste Halbzeit unentschieden zwischen Kabarettistin und Sängerin.
Doch nach der Pause setzte sich die Stimme durch, zum Glück, temperamentvoll, kräftig, schräg und schrill. Plötzlich ging es richtig rund, mit Liedern auf bayerisch zu Jodeljoga und Wellnesswahn, mit dicken Weibern und Kleinmädchenträumen gegen Jah-reszeitendepression und für den Weltfrieden. Jetzt dominierte die fulminante Sängerin Coco Camelle, der Anna Winkels intelligente, melancholische Texte auf den Leib geschneidert hat.
Zu Gershwins »Summertime« ging es durch den Straßenverkehr, hinter polnischen Lkw-Stinkern offenbarte sich die Philosophie des Kreisverkehrs. Wie ein Klageweib besang sie das Rheuma der Ballerina, ächzend jammernd, stöhnend - da blieb kein Auge trocken, und in der Moritat von Heinz-Dietmar endet der Drang zu den Frauen tödlich.
Coco Camelle beherrscht die Kunst der Körpersprache, ein geschürzter Mund, ein paar hängende Schultern, schon wird das »Drama Mensch« auf realistische Größe zurückgeschraubt. Der arme Heinz-Dietmar, notorischer Heilbehandlungs-Schwänzer und »Frauenbetänzer«, ein Zwerg von einem Mann, wirft in der Kur so lange Schatten auf die Herzen der Frauen, bis er tot aufs Parkett stürzt. Die Moral: falsche Größe schadet jedem Wicht. Coco Camelle jedoch ist einfach eine »tierisch gute« Sängerin.

Artikel vom 30.01.2006