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Lehrer war in früheren Zeiten der
ungekrönte König in den Dörfern

Interessantes von Dr. Heiner Koop aus der Stemweder Schulgeschichte

Stemwede (WB). »Das Stillsitzen in der Schule war mir immer eine Qual!« - so lautet der Titel eines vielbeachteten Buches, das der gebürtige Drohner Dr. Heiner Koop aus Rietberg verfasst hat. In einer Serie veröffentlicht die STEMWEDER ZEITUNG in loser Folge einen Vortrag, den Dr. Koop vor interessierten Bürgern im Heimathaus Wehdem hielt.

Die Schüler waren die Untertanen und der Lehrer der kleine König im Dorf. Es zeichnete sich eine Entwicklung ab, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in oftmals übertriebenem Kaiserkult gipfelte - die Schule wurde zur Erziehungsanstalt für Gott und Vaterland. Dabei spielte der Lehrer die Vermittlerrolle, die ihm einen erheblichen Prestigegewinn brachte.
Diese Tatsache lässt sich am Besten anhand von Schulfotografien belegen. Diesen Ansatz der historischen Schulforschung habe ich in der Wehdemer Schulgeschichte ausführlich verfolgt. Beginnen wir mit dem ältesten Schulfoto aus der Region, das mir vorlag. Es zeigt Schuljungen in Oppenwehe um 1888 (siehe oben). Auf dem Bild sind lediglich Jungen sowie der Lehrer abgebildet. Man kann hieraus schließen, dass das Fotografieren seinerzeit derart kostspielig war, dass Mädchen entsprechend ihrer Rolle unberücksichtigt blieben.
Auf diesem Bild ragt der Lehrer majestätisch mit Frack und Bart über seine »Untertanen« hinaus. Die Mehrheit der Schüler ist mit dunklen, langen Hosen und ebenfalls dunklen Jacken (zum Teil doppelreihig geknöpft) mit angesetzten Ärmeln aus bequemeren, weniger steifem Stoff bekleidet.
Zum einen hatte man so bei der täglichen Arbeit mehr Bewegungsfreiheit und zum anderen konnten auf diese Weise durchgescheuerte Armteile kostengünstig ersetzt werden. Der zehnte Schüler von links in der ersten Reihe trägt die für die Arbeit in der Landwirtschaft üblichen Holzschuhe auch beim Schulbesuch. Das äußere Erscheinungsbild dieser Oppenweher Kinder erinnert weniger an Schüler als an Bauern in Miniaturformat.
Lediglich der fünfte Schüler von links in der zweiten Reihe fällt durch seine außergewöhnliche Kleidung auf. Die doppelreihig geknöpfte Jacke mit Kragen, das gestärkte weiße Hemd darunter (»Vatermörder«) sowie die akkurate Frisur und seine aufrechte selbstsichere Körperhaltung bringen zum Ausdruck, dass dieser Junge »etwas Besseres« darstellte. In ihm spiegelt sich das Bild eines jungen Erwachsenen in gehobenerer gesellschaftlicher Stellung wider. Möglicherweise war er der Sohn des Lehrers oder Pfarrers.

Artikel vom 28.01.2006