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»Sie haben kein
Problem, Sie sind es«

Prof. Bernd Raffelhüschen bringt 500 Zuhörer zum Grübeln

Von Michael Robrecht
Brakel (WB). »Es gibt kaum jemanden in Deutschland, der eine ernsthafte Thematik so humorvoll verpackt rüberbringen kann wie Sie«, sprach Sparkassen-Vorstandsvorsitzender Manfred Buncke aus, was 500 Zuhörer in der Brakeler Stadthalle nach dem Vortrag des Renten- und Demographieexperten Prof. Bernd Raffelhüschen (49) dachten. Wem der Ernst der Lage bei Finanzen, Rente und Gesundheit nicht bewusst war, der musste es spätestens nach den unverblümten und bewusst respektlosen Expertenworten begriffen haben.

»Sie haben kein Problem, sie sind es!«, schockte der gefragte Regierungsberater alle 30- bis 50-Jährigen im Saal. »Sie sind die größten Rohrkrepierer des Jahrhunderts, was das Thema Kinder angeht«, setzte er mit Blick auf die zukünftigen Rentenempfänger noch einen obendrauf. Die Geburtenrate in Deutschland entspreche seit 35 Jahren nur noch der der Kriegsjahre um 1945, das sei die Dimension, die zu vielen Problemen in Rente und Gesundheitssystem geführt habe. »Im Jahr 2030 bekommt jeder seinen persönlichen Rentner«, meinte der Freiburger Professor, vielen im Kreis Höxter wegen seiner flinken Zunge aus zahlreichen Fernsehdiskussionen bekannt.
»Kein aktuelles Gesundheitsreformmodell ist zukunftsfest. Weder die Bürgerversicherung noch die Gesundheitsprämie und auch nicht das Kompromissmodell von Angela Merkel und Edmund Stoiber bringen die notwendige finanzielle Nachhaltigkeit in das Gesundheitssystem«, erklärte Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, der am Forschungszentrum Generationenverträge der Uni Freiburg lehrt. In diesem Zusammenhang warf er sowohl der Rürup-, aber auch der Herzog- und der Nahles-Kom-mission vor, ihren eigentlichen Auftrag aus dem Auge verloren zu haben, nämlich die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme. Die Politik forderte der Professor zu unpopulären Maßnahmen auf. So müssten außer dem Zahnersatz auch Zahnarztleistungen aus dem Kassenkatalog gestrichen werden. Milliarden Euro könnten so gespart werden.
Während des Sparkassen-Finanz-Forums schüttete Raffelhüschen einen ganzen Korb mit Zahlen und Bemerkungen zur Demographie aus. Ein paar Zitate: »Von Generation zu Generation leben die Menschen vier Jahre länger.« »Es gibt bald zehn mal so viele Hundertjährige wie heute.« »In den 60er Jahren waren Senioren fünf Monate Pflegefall, heute fünf Jahre.« »Beitragsdeckelungen und die Absenkung des Leistungsniveaus sind unvermeidbar.« »Die Wertschöpfung der Exportgüter findet nicht mehr in Deutschland statt.« »Die Politik hat zu viel Angst. Weil Politiker die Wahrheit nicht sagen wollen, setzen sie Kommissionen ein.« »Länger arbeiten für weniger Rente - das ist die Wahrheit.« »Noch nie gab es so reiche Rentner in Deutschland.« »Die 30- bis 50-Jährigen müssen für die Folgekosten der fehlenden Kinder aufkommen.« »25 Prozent der Steuereinnahmen gehen bald für Pensionen drauf.« »Bei der Pflegeversicherung ist alles falsch gemacht worden. Eine große Koalition der Gutmenschen hat ein Wohltätigkeitsprogramm für die Armen verkauft.« Raffelhüschen forderte in Brakel auch die Abschaffung der Pflegeversicherung.Interview S. 3

Artikel vom 27.01.2006