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Dr. Hans-Uwe Hinrichs begleitete zwei Abschnitte des noch andauernden 20000-Meilen-Törns. Foto: Kehmeier

Ohne Eis in den Wanten vor Kap Hoorn

Dr. Hans-Uwe Hinrichs als Schiffsarzt auf dem Jubiläumstörn der »Alexander von Humboldt«

Von Reinhard Kehmeier
Löhne / Bad Oeynhausen (WB). Einmal um Kap Hoorn: Den lang gehegten Traum hat sich Dr. Hans-Uwe Hinrichs (65), langjähriger ärztlicher Direktor der Maternus-Klinik, mit seinem Ruhestand erfüllen können. Mitte Januar erreichte er auf der Drei-Mast-Bark »Alexander von Humboldt« das von ungezählten Seefahrer-Generationen gefürchtete Gebiet an der Südspitze Feuerlands, wo in der Ära der Handelsschiffahrt unter Segeln manche Bark ihr Logbuch für immer schließen musste.

Meeresgott Rasmus meinte es gut mit der 60-köpfigen Crew bei der Jubiläumsfahrt zum 100-jährigen Geburtstag des Großseglers »Alex«, wie er liebevoll genannt wird. Die Windjammer mit dem markanten grünen Tuch ist seit 1986 Schulschiff der Deutschen Stiftung Sail-Training (DSST). Sie war auch bei der letzten großen Parade in Bremerhaven dabei, zugleich Heimathafen der »Alex«.
»Fast schon zu gut«, findet Dr. Hinrichs die Wetterumstände. Als Schiffsarzt hatte er für die Tour von Rio de Janeiro bis zur Südspitze Amerikas angeheuert - ehrenamtlich (»Hand für Koje«). So wie alle Mitglieder der Stammcrew bis hin zu den Kapitänen, die als Patentinhaber für große Fahrt sonst auf der Weser und den Kanälen, als Elblotsen oder in der Handelsschiffahrt unterwegs sind. Es ist das Naturlerbnis, der Umgang mit Urgewalten und die Möglichkeit, beim Landgang mit seinen Ausflügen andere Kulturen kennenzulernen, das Hinrichs schätzt. Genauso wie die Trainees mit und ohne Segelerfahrung. Sie mögen es gern einfach: Arbeits- und zivile Kleidung statt Dinner Jacket. Weihnachten wurde in Montevideo gefeiert mit dem Pastor der evangelischen Gemeinde. Nach 12000 Seemeilen Erfahrung und seiner 14. Reise schildert der orthopädische Facharzt, der aus einer Mediziner-Familie in Schleswig-Holstein stammt und als Jugendlicher Kapitän werden wollte, nachdrückliche Erlebnisse zur Jahreswende 2006. »Es war eine Sommerreise«, berichtet der Rückkehrer. Doch Rasmus schickte nicht nur brennende Sonne und flauen Wind. Mit 510 Pferdestärken des Schiffsdiesels pflügte der stählerne Rumpf des 63-Meter-Seglers durch den Atlantik, wenn sich der Sommer der Südhalbkugel von seiner besten Seite zeigte. »Bis Buenos Aires hatten wir zu wenig Wind und gegenan.« Fast die Hälfte der Route hielt der Motor den Segler auf Kurs. »Soviel Glück dürft ihr nicht haben« fand der Herrscher über Urgewalten. Schließlich: Wenn von der Passage um Kap Hoorn die Rede ist, sind orkanartige Stürme gemeint und meterhohe Wellen, kurz eine der größten Herausforderungen für Segelschiffe und ihre eingespielten Crews.
Und tatsächlich: Die Mannschaft der Jubiläumsreise lernte harte Arbeit kennen, der Wind schwoll zum Sturm. Acht Stärken, in Böen zehn. Anderthalb Tage lang wurde die »Alex« vom Sturm auf das Meer getrieben. Dann suchten sich Kapitän Klaus Ricke und seine Besatzung eine windschützte Bucht vor der Insel. Hier wurde der Anker geworfen. Die Kreuzfahrt-Touristen hatten bereits die Treppe zum markanten Denkmal mit dem Albatros am Südpunkt erklommen. Im dortigen Sommer bei elf Grad plus und Wassertemperaturen um neun Grad. »Es war für uns keine Heldentat«, zieht Hinrichs ein Resümee und blickt auf Bilder, wo die Seeleute mit bloßen Händen das vereiste Segeltuch bargen. Die Jubiläumstour war dennoch in vielfacher Hinsicht etwas besonderes, persönlich ebenso wie für die deutsche Schifffahrt. Immerhin war es der erste Großsegler, der seit 1939 die Passage in Angriff nahm. Damals gelang der Priwall, einem der P-Liner der legendären Reederei Laeisz, die schnellste Umrundung. Die Besatzung und das Schiff wurden in Chile interniert.
Dr. Hinrichs ging im argentinischen Ushuaia, der südlichsten Stadt der Welt mit dem Wechsel der 60-köpfigen Besatzung von Bord. Glücklicherweise hatte er nur leichte Fälle als Schiffsarzt zu behandeln: Sonnenbrand, Erkältung und Durchfall oder Blasen von der Arbeit in der Takelage bis 35 Meter über Deck hoch oben am Sky-Segel. Das jedoch ist freiwillig für die Trainees. Jeder ist mit einem Brustgurt gesichert. Sicherheit geht vor: Bisher hat es keinen Unfall im Rigg gegeben. 25 Segel wollen an 240 Klampen und Belegnägeln befestigt oder losgeworfen werden. Blind und in der Nacht müssen die Handgriffe sitzen. Der Leichtmatrose weiß am Ende der Tour um die Taue Bescheid. Ihre Anordnung ist auf allen Segelschiffen der Welt gleich.
Mindestens 25 Leute der Stammbesatzung können den Dreimaster allein und auch längere Zeit manövrieren. 25 bis 30 Männer und Frauen erhalten Gelegenheit, auf dem Schulschiff mitzureisen, sich mit der Technik des Segelns vertraut zu machen. Auf Traditionsschiffen die Welt zu erleben, darin sieht Dr. Hinrichs eines der letzten Abenteuer. Seine zweite Heimat ist an Bord.
Die Begeisterung dafür hat er weitergegeben in der Familie. Er freut sich schon auf die nächste Reise im Juni. Zusammen mit Tochter Meiken (28), die im Wittekindshof eine Ausbildung als Erzieherin absolviert, führt die Tour von Bremerhaven nach St. Malo. Meiken hat bereits zwei Törns als Trainee mitgemacht.

Artikel vom 26.01.2006