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Knochenarbeit im Braukeller

Erzählcafé Sundern: Erinnerungen an die Arbeit vergangener Jahrzehnte

Von Mathis Vogel
Hiddenhausen-Sundern (HK). Während der Winterzeit trifft man sich in Sundern einmal im Monat zum Erzählcafé. Im Mittelpunkt steht der Austausch von Geschichten rund um das Dorf und deren Bewohner, die so manche amüsante, teils auch rührende Anekdote zu erzählen wissen.

Diesmal drehte sich alles um das »kühle Blonde«. Zum Thema »Brauerei Felsenkeller« fanden viele Dorfbewohner und ehemalige Mitarbeiter den Weg in die Sunderaner Kirche. Zunächst gab es bei Kaffee und Kuchen Gelegenheit, über das Tagesgeschehen zu klönen. Danach versammelte man sich in der Kirche, um dem Vortrag zur Geschichte der Brauerei Felsenkeller zu lauschen.
Das Mikrofon teilten sich an diesem Nachmittag Hans Wefelmeier und Heinz Ellermann, zwei langjährige Mitarbeiter der Brauerei.
Aus 46 und 49 Jahren Betriebszugehörigkeit hatten die beiden viele Erinnerungen mitgebracht, die die knapp 50 Besucher des Erzählcafés zum Schmunzeln und Staunen brachten. »Das Brauen war eine harte Arbeit, für die wir allerdings entsprechend entlohnt wurden. Nur die Kumpel unter Tage bekamen mehr Lohn«, erinnert sich der 84-jährige Heinz Ellermann.
Die Fässer wurden von Böttchern in der Brauerei von Hand gefertigt. Auch das Überprüfen und Instandsetzen der Leihfässer, sei ein Knochenjob gewesen. Die im Lagerkeller installierten 80-Hektoliter-Fässer mussten per Hand von innen gereinigt werden.
Doch die harte Arbeit blieb nicht unbelohnt, erinnerte sich der 82-jährige Hans Wefelmeier, ehemals erster Braumeister bei Herforder Pils: »Wenn wir unsere Produktion um 100.000 Hektoliter gesteigert hatten, bekamen wir einen bestimmten Geldbetrag - bar auf die Hand. Zusätzlich wurde das Jubiläumsfass feierlich angestochen«.
So hätten die Sunderaner nicht schlecht gestaunt, als die Mitarbeiter der Brauerei in der Dorfkneipe von ihrem 100 Mark-Bonus zum 500 000. Hektoliter erzählten - ein halber Monatslohn zu der Zeit.
»Damals schob uns die Deutsche Bahn die Waggons vom Güterbahnhof bis zur Brauerei, mit einer Diesel-Lok, den Berg hoch. Das machten sie gerne«, scherzte Hans Wefelmeier in Anlehnung an die zum Teil »Tür und Tor öffnende Wirkung« des Herforder Pils'. Eines Tages habe sich eine Lokomotive selbstständig gemacht und sei in Richtung der zur Sicherheit auf dem Betriebsgelände installierten Entgleisungsanlage der Brauerei gefahren.
Die Lokomotive entgleiste tatsächlich und blieb schnaubend auf dem Firmengelände stehen. Ein diensthabender Mitarbeiter der Brauerei notierte im Protokoll: »Lok der Bundesbahn ohne Führer eingetroffen«.
Doch gab es auch einige Schicksalsschläge im Arbeitsalltag am Felsenkeller. »Früher mussten wir die Kohle aus der Zeche in Hamm mit dem LKW holen. 1953 versagten bei unseren LKW die Bremsen und zwei Fahrer kamen ums Leben«, berichtete Heinz Ellermann aus einem traurigen Kapitel der Brauereigeschichte.
Doch ging es nicht nur um die Erinnerungen zweier ehemaliger Mitarbeiter, auch die Besucher des Erzählcafés erinnerten sich. Neben Einschüben zum sozialen Engagement der Gründerfamilie Ueckermann, die Anfang des 20. Jahrhunderts ein Badehaus und einen Kindergarten einrichtete, war auch Zeit für fachliche Zwischenfragen, die die zwei Referenten kompetent zu beantworten wussten. »Als Braumeister war es mein Hauptziel, ein Bier zu brauen, das gerne getrunken wird«, erzählte Wefelmeier - Zurufe aus dem Publikum bestätigten ihn, seinem Anspruch gerecht geworden zu sein.
Die Zeiten der begehbaren Holzfässer, der Brauereipferde und der Kühlung mit Natureis aus dem angrenzenden Bäumer-Teich sind aber längst vorbei. Die zunehmende Automatisierung hatte, wie in so vielen Unternehmen, auch bei Herforder Pils einen Stellenabbau zur Folge. Mit mehr als 700 Mitarbeitern erlebte man 1978 die höchste Beschäftigungsrate im Unternehmen. Diese Zahl ist bis heute auf ein Viertel der Arbeitskräfte gesunken. Als gegen 17 Uhr das Ende des Vortrags nahte, waren noch lange nicht alle Fragen beantwortet und noch beim Verlassen der Kirche führten die Besucher angeregte Gespräche. Nach Themen für die nächsten Erzählcafés wird noch gesucht, doch das schmälert den Erfolg der Aktion nicht: Wenn Sunderaner mit Sunderanern über die Geschichte ihres Dorfes sprechen, verspricht das grundsätzlich ein spannendes Ereignis zu werden.

Artikel vom 26.01.2006