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»Ehrenmord« ist das 9c-Unwort

Neuntklässler beschäftigen sich im Deutschunterricht mit Begriffe-Kür

Von Stefanie Hennigs
Versmold (WB). Für die Neuntklässler ist »Ehrenmord« das Unwort des Jahres 2005. Passend zur Unwort-Verkündung setzte Deutschlehrer Norbert Richter das Thema gestern in der Klasse 9c auf den Unterrichtsplan. Dabei gab es zunächst jedoch durchaus Klärungsbedarf. Denn wer weiß schon außer Wirtschaftsexperten, was sich hinter »Smartsourcing« verbirgt?

Denn zu den Unwort-Favoriten gehörten wieder einmal viele Begriffe aus der Wirtschaft -Ênicht nur das jetzt gekürte Unwort »Entlassungsproduktivität«, sondern auch »Smartsourcing« und »Qualitätsoffensive«. Zu den 1073 Wörtern, die das Fünfer-Gremium aus Sprachwissenschaftlern als Unwort-Vorschläge auf den Tisch bekam, gehört auch »folterähnliche Methoden«. »Ich weiß nicht, was ich mir darunter vorstellen soll«, sieht auch Stefan aus der 9c die Nominierung des Wortes durchaus als berechtigt an. »Entweder ist etwas Folter - oder nicht!«
»Ehrenmord« ist ein Wort, das auch Lara übel aufstößt. »Ein Mord kann nichts mit Ehre zu tun haben«, sagt sie über den Begriff, der im vergangenen Jahr im Fall einer türkischstämmigen Familie immer wieder erwähnt wurde: Hier hatten zwei Brüder ihre Schwester wegen ihres Lebenswandels getötet, wie sich Klassenkameradin Claudia erinnert. »Ehrenmord -Êdas Wort ist ein Gegensatz in sich«, findet auch Deutsch-Fachmann Richter.
Warum Wörter überhaupt auf der Unwort-Vorschlagsliste landen, fragt Norbert Richter seine Schüler und verweist nicht nur auf die aktuelle Nominierungsliste, sondern auch auf die Favoriten der Vorjahre wie Rentnerschwemme und »Humankapital«. »Dies sind Wörter, durch die eine bestimmte Abwertung erfolgt und eine Diskriminierung mit dabei ist«, erklärt Stefan. Fast genauso drückt es die Jury in Frankfurt aus: Sie würden sprachliche Missgriffe rügen, die »sachlich grob unangemessen sind und möglicherweise die Menschenwürde verletzen«.
Dass die Grenze zwischen der »Wort des Jahres«- und »Unwort des Jahres«-Liste durchaus schwammig ist, stellen die Schüler ebenfalls fest: »Gammelfleisch« taucht auf beiden Vorschlagslisten auf. »Schwampel«- und »Jamaika«-Koalition bezeichnet das Gleiche, ersteres findet sich allerdings auf der Unwort-Nominierungsliste, letzteres war Kandidat für das »Wort des Jahres 2005«, zu dem letztlich »Bundeskanzlerin« gekürt wurde.
Zu den »Unwort-Top 4« der 9c -Êdas ergibt eine kurze Abstimmung -Êzählen »Parasiten«, »folterähnliche Methoden« und »Gammelfleisch«. Die meisten Finger recken sich jedoch bei »Ehrenmord« in die Höhe. Dass regelmäßig Unwörter und Wörter des Jahres gekürt werden, hält Deutschlehrer Norbert Richter für sinnvoll: »Dies führt zu einer öffentlichen Auseinandersetzung mit den Wörtern, die zum Teil neu geschaffen wurden.«

Artikel vom 25.01.2006