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Sanfter Blick und lächelnder Mund

Aus Ton modelliert und in Stein gegossen: Maria Henke restauriert die Sphinxen

Von Bärbel Hillebrenner
(Text und Fotos)
Bad Oeynhausen (WB). Unscharfe Zeichnungen hängen an der Wand. Es sind Vergrößerungen von ganz alten Fotografien. Sie zeigen die Sphinxen vor dem neobarocken Kurhaus. Es sind Vorlagen für Maria Henke. Die Schwester von Friedrich Henke, Inhaber des Steinmetzbetriebes in Dehme, fertigt und modelliert die Köpfe komplett neu und restauriert die beiden Löwenkörper.

Der tägliche Arbeitsplatz von Maria Henke hat so gar nichts mit Modellage oder Bildhauerei zu tun. Die 48-jährige Bielefelderin verhandelt mit den Kunden über Granit, Marmor und anderen Natursteinen. Ständig klingelt das Telefon, da bleibt nicht viel Ruhe und schon gar keine Zeit, sich mit den Köpfen der Fabelwesen zu beschäftigen. »Das kann ich nur am Wochenende, wenn mich hier niemand bei der Arbeit unterbricht«, sagt Maria Henke. Denn leicht sei es nicht, die neuen Köpfe nach dem Muster der alten, überlebensgroßen Köpfe nachzubauen. »Das mache ich ja nicht jeden Tag, deshalb habe ich mich auch lange vor der ersten Tonanmischung mit dem Thema Sphinxe auseinandergesetzt.«
In der Bielefelder Bibliothek hat sie sich die Bücher ausgeliehen, in denen sie seitenweise nach Herkunft, Geschichte und vor allem nach dem Aussehen griechischer und ägyptischer Sphinxen gestöbert hat. Der Unterschied besteht nämlich darin, dass in der griechischen Sage der geflügelte Löwenkörper mit einem Frauenkopf, in der ägyptischen Kultur jedoch mit einem Männerkopf bestückt war. »Die neuen Köpfe sollen den Originalen aus den Entstehungsjahren des Kurhauses, von 1905 bis 1908, weitestgehend ähnlich sehen und das waren sanftmütig schauende Frauenköpfe«, weist Maria Henke darauf hin, dass dies allein eine große Herausforderung sei.
Doch mit Kunst und Kreativität kennt sich die 48-Jährige aus, die begleiten sie schon seit Jahren. Zwar sei es lange her, dass sie an der Fachhochschule Bielefeld Design studiert habe. Aber immerhin belegte sie damals die Schwerpunkte Malerei und Bildhauerei. Wenn sie auch später als Grafikerin tätig war, so hat die künstlerische Arbeit immer einen Platz in ihrem Leben gehabt. Im Büro an der Dehmer Straße hängt zum Beispiel ein Stilleben von ihr, eine farbenprächtige Küchenszene.
Und gleich zwei Türen weiter, in der Werkstatt des Handwerksbetriebes, stehen die Sphinxen. Eine Plastiktüte ist über ihre Köpfe gebunden. Darunter bleibt der gelbe Ton schön feucht, »da kann man jederzeit dran modellieren«. Kopien historischer Fotos und die eigenen Zeichnungen hängen dahinter an der Wand: »Das sind meine Arbeitsmuster. Ich habe die Köpfe gleich auf den Hals der Skulpturen gesetzt, dann kann ich besser beobachten, ob die Proportionen stimmen«, erklärt Maria Henke. Aus einem Kopf blitzen noch Metallstäbe hervor: »Ich habe mir einen Kern gebaut, ein Gerüst aus Eisenstangen, auf das der schamotthaltige Ton geschichtet wurde. Aus dieser Masse modelliere ich das Gesicht, den Ausdruck und die Haare.« Der Blick der Sphinxe geht zur Seite, bei der einen demütig nach unten, bei der anderen stolz nach oben. Die Augen sind beinahe geschlossen, der Mund lächelt sanft.
Mit einem speziellen Abgussverfahren, bei dem ihr ein befreundeter Restaurator behilflich sein wird, werden aus den Ton- schließlich Steinköpfe. Maria Henke: »Die Sphinxe bestehen entweder aus Alt-Warthauer oder Friedersdorfer Sandstein, doch diese Brüche gibt es nicht mehr.« So müssen andere, ähnliche Steine verwendet und in einer neuen Mischung geschreddert werden.
Mit großer Spannung erwartet die Bildhauerin den Tag, an dem die Fabelwesen mit ihren neuen Köpfen wieder eine komplette Gestalt annehmen. Bis dahin müssen auch noch die Köpfe der Putten fertig sein. Diese nackten Kinderfiguren sitzen auf den Rücken der Löwenkörper und wurden ebenfalls vor Jahrzehnten zerstört.
Wie, wann und durch wen genau die Steinskulpturen zerstört wurden, ist übrigens bis heute nicht geklärt. Das Bad Oeynhausener Anzeiger und Tageblatt - Vorläufer des heutigen WESTFALEN-BLATTES - berichtete 1959, dass die Sphinxen nicht erst nach der britischen Besatzungszeit, sondern schon vor dem Zweiten Weltkrieg von ihrem ursprünglichen Standort entfernt worden sind. Bis dahin thronten sie auf einem drei Meter hohen Sockel und schmückten als Torhüter das Eingangsportal zum Kurhausgarten. Dieser Vorplatz wurde 1937/38 neu gestaltet. Während dieser Arbeiten wurden sowohl das schmiedeeiserne Tor als auch die steinernen Portalhäuschen entfernt - und mit ihnen die Sphinxen.
Zurück vor das Kurhaus sollen die restaurierten Gestalten spätestens im Sommer kommen. Steinmetz Friedrich Henke wird noch einen Sockel bauen - statt der originären drei nur etwa einen Meter hoch. Auf diesen werden die Sphinxen dann Platz nehmen.

Artikel vom 21.01.2006