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Das Wort zum Sonntag

 Von Margret Heinze, Ev. Kirchenamt Lübbecke


Wir alle kennen sie, die Männer in der verschmutzten, abgetragenen, beschädigten Kleidung, unrasiert, ungewaschen, mit einer Mütze oder einem alten, verbeulen Hut auf dem Kopf.
Mit teils schüchternen, teils dreisten oder Mitleid erweckenden Blicken stehen sie an der Tür und bitten um eine milde Gabe.
Besonders die Geschäftsleute, Sozialämter und auch Pfarrbüros können ein Lied davon singen, sprechen diese meist nicht Sesshaften doch bei jenen Institutionen am häufigsten vor. Fast immer sind es die gleichen Formulierungen wie »Ich bin auf der Durchreise« oder »Ich habe keinen Cent mehr für Essen«, die sie vortragen.
Wir nennen sie Landstreicher, Tippelbrüder, Penner, Obdachlose.
Viele von uns sind froh, möglichst wenig oder gar nicht mit ihnen in Berührung zu kommen. Sie führen ein Leben, das für unsere Begriffe wertlos, hoffnungslos, ohne jede Aussicht auf Besserung zu sein scheint. Oft werden die paar Euro, die sie zusammenbetteln, statt für ein kräftigendes Essen in Alkohol umgesetzt.
Im Sommer sind es nicht wenige, die bei gutem Wetter draußen im Freien, in alten Scheunen oder in halb fertigen Neubauten übernachten.
Es ist ein Leben, das manche so und nicht anders wollen. Sie kennen seit Jahren nur diese eine, in unseren Augen primitivste Form des menschlichen Daseins. Andere wiederum sind durch eigene oder fremde Schuld ungewollt auf diese Ebene geraten.
Soll man es verurteilen, verdammen, dieses »licht- und arbeitsscheue Gesindel«, wie man es manchmal abfällig betitelt? Wird vielleicht zu wenig für diese Menschen der Straße getan?
Es wird immer ein Problem bleiben, die nicht Sesshaften optimal in unsere gesellschaftliche Ordnung einzufügen. Es gibt zum Beispiel in allen großen Städten Unterkünfte und Obdachlosenheime, wo die Durchreisenden die Möglichkeit haben, ein Dach über dem Kopf zu bekommen, was besonders im Winter für sie wichtig wird.
Wenn ich die Tippelbrüder, die in mein Büro kommen, so anschaue, denke ich jedesmal: Auch er ist ein Mensch, genau wie ich. Vielleicht lebt er ein Leben, das ich nicht verstehen kann, aber ist er deshalb schlechter oder weniger wert als ich? Darf ich ihn als Mensch der »zweiten oder dritten Klasse« abstempeln?
Dazu schreibt die Bibel im Matthäus-Evangelium Kapitel 25: »Was ihr getan habt einem von diesem meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.«
An diese Worte sollte man sich dann immer wieder erinnern. Sie lassen uns nicht los.

Artikel vom 21.01.2006