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Aufforderung
zur Erinnerung

Lesung von Peter-Ulrich Schedensack

Von Stefan Wolff (Text und Foto)
Herford (HK). Ein Mitläufer war er, hat ihm die Spruchkammer beschieden. Er war bei der SS, aber nur aufgrund seiner guten Konstitution, denn ein überzeugter Nazi war er nicht. Und überhaupt, warum soll er sich erinnern, lieber streicht er diese zwölf Jahre ganz aus seinem Gedächtnis.

Der alte Mann, den Peter-Ulrich Schedensack in seinem szenischen Monolog »Ungeschriebene Briefe« mit seinem Sohn hadern lässt, steht für die Kriegsteilnehmer, die gegenüber ihren Söhnen lieber schwiegen, als ihre eigene Verstrickung in den Nationalsozialismus und dessen Verbrechen zuzugeben. Der Autor war einer Einladung des Kuratoriums »Erinnern, Forschen und Gedenken« gefolgt und las am Montagabend im Zellentrakt im Rathaus aus seinem Werk vor, das ursprünglich als eine Reflexion über das Schweigen seines Vaters und nicht für die Veröffentlichung gedacht war. Den 1938 geborenen Autoren stellte die Vorsitzende des Kuratoriums, Jutta Heckmanns, den Gästen als einen »Theologen und Lehrer mit Hoffnung auf Veränderung der Welt« vor.
Mit völligem Unverständnis begegnet der alte Mann der Aufforderung seines Sohnes, sich zu erinnern. Fotos will er ihm ja schicken, aber Briefe schreiben, nein, das lehnt er ab. »Er will seinen Vater in brauchbare und unbrauchbare Teile zerlegen. Aber ich lasse mich nicht auseinander nehmen. Was von einem übrig bleibt, das hält man zusammen«, stellt er fest. Der alte Mann möchte nur in Ruhe gelassen werde. Die Erinnerungen an den Krieg kommen von selbst, schon Gerüche und Geräusche im Altenheim reichen aus, ihn wieder an das Lazarett oder an die Front zu erinnern. Wozu soll er dann noch Briefe an seinen Sohn schreiben, der wie ein Priester die Beichte von ihm verlangt. Doch auch alleine und ohne seinen Sohn sucht der Alte nach Rechtfertigung für sein Tun: »Das Ende verfälscht alles. Der Anfang war so falsch nicht, aber alle starren auf das Ende.«
Ähnliche Erfahrungen wie der Autor hatten auch viele der Anwesenden gemacht, die noch heute nach einem Grund für das Schweigen ihrer Väter suchen. Doch auch spätere Generationen ziehen es häufig vor, zu schweigen, wie Schedensack selber zugab.

Artikel vom 19.01.2006