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Geld regiert die Welt. Portia (Rosmarie Brücher) steht damit, von Dejan Radulovic (Kostüme) eindrucksvoll inszeniert, über allen.

Die Spaßgesellschaft
macht bitteren Ernst

»Kaufmann von Venedig« frei nach Shakespeare


Von Ruth Matthes (Text und Fotos)
Herford (HK). Eine Inszenierung des »Kaufmanns von Venedig«, die sich weit vom Shakespeare-Original entfernte, präsentierte das Theater an der Ruhr am Dienstag im Theater. Regisseur Roberto Ciulli hatte aus der Komödie mit tragischem Einschlag ein Lehrstück über Antisemitismus und Gewalt werden lassen.
Dramaturg Helmut Schäfer eröffnete die Vorstellung mit Erläuterungen zur Interpretation des Ensembles. Wenn sich auch eine Inszenierung eigentlich aus sich selbst heraus erschließen sollte, so waren seine Erklärungen doch eine Orientierungshilfe in diesem modernen Stück, bei dem Shakespeares Sprache nur noch gelegentlich wie ein Fremdkörper auftauchte. Wer gekommen war, um der geist- und bildreichen Sprache des Engländers zu lauschen und sich an schönen Kostümen und humorvollen Szenen zu ergötzen, wurde schlecht bedient.
Wie Schäfer erklärte, war es Shakespeares Intention eine ähnliche Komödie wie Marlowes »Juden von Malta« zu schreiben. Da es damals in England kaum Juden gab, wurde ihm erst beim Schreiben klar, welcher Sprengstoff in der Figur des Shylock steckte, der aus Rache als Pfand für 3000 verliehene Dukaten ein Pfund Fleisch des Kaufmanns Antonio verlangt. Shylock geriet ihmÊzur facettenreichen Figur, die ein flammendes Plädoyer für die ausgegrenzten und von Antonio und seinesgleichen mit Füßen getretenen Juden hält. Diese Szene wurde auch zu einer der fesselndsten.
Das Stück nach 1945 aufzuführen, ist nicht leicht. Die Mülheimer entschieden sich daher für eine Verlagerung in das 20. und 21. Jahrhundert, die sie auch konsequent durchzogen. Dabei arbeitete Ciulli besonders die Langeweile gesellschaftlicher Kreise als Grund für die Entstehung von Gewalt und »die Ökonomisierung der menschlichen Beziehungen« heraus.
Um die Beziehung zwischen Antonio und Shylock stärker herauszuarbeiten, besetzte er den Juden mit einer Frau. Seinen Effekt verfehlte dieser Kniff nicht, wirkte doch die ausgeübte Gewalt -Êauch ihre -Ênoch abstoßender. Die ganze Gerichtsszene geriet hier zur Farce, stellt sich doch heraus, dass alles ein abgekartetes Spiel zur Belustigung der »Spaßgesellschaft« war.
Die Erniedrigung, die Shylock ertragen muss, jedoch ist echt. Dies macht der KZ-Anzug, mit dem er die Verhandlung betritt, überaus deutlich. Ohnehin spielte Ciulli hier ganz deutlich auf das Naziregime an.
So trat Antonio zum Beispiel in Göring-Uniform auf. Shylock seinerseits malte Antonio einen Judenstern auf die Brust. Als fragwürdige Wiedergutmachung gibt Antonio in der stark umgestalteten letzten Szene einem ausländischen Hausierer Shylocks Erbe.
Wenn die Ursachen für Gewalt und Antisemitismus doch ein wenig zu plakativ gestaltet und die Langeweile der Gesellschaft allzu sehr ausgewalzt wurde, so gab es doch einige packende Szenen der insgesamt überzeugenden Darsteller - allen voran Petra von der Beek als gefühlsstarker Shylock, Volker Roos als blasierter Antonio und Simone Thoma als facettenreiche Jessica, die schließlich als geistig Behinderte endete. Das Publikum applaudierte lange, aber verhalten.

Artikel vom 19.01.2006