06.02.2006
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Es war ein scheuer, gütiger Kuß; denn das Unerklärliche, warum Anna nicht seine Frau werden wollte, hatte Walters Liebe zu ihr in eine schwärmerische Ehrfurcht verwandelt.
Elftes Kapitel
Anna ging schon früh am Morgen in den Park und hinaus über das Land, wenn das hohe, späte Gras noch unbeweglich stand und überwältigt vom vielsilbrigen Tau, wenn an den Brombeerhecken eben die Spinnweben anfingen, in die matte Sonne zu blinzeln. Oder sie ging gegen Abend auf den Kamp, wo sie über die Heide gehen konnte, und setzte sich oben am Waldrande auf eine der großen trockenen Wurzeln, die dicht an den Stämmen bloßlagen. Und sie schaute über die Ebene mit traurigen Augen, als wollte sie den Herbst nicht. Denn sie konnte noch nicht wissen, daß dies Land jetzt erst seiner ureignen Schönheit entgegenruhte.
W
Schwer und einsam ist dies Land in seiner ureignen Schönheit; nur die ungelenken schwarzen Raben halten ihren dunklen Rat, und die unversöhnlichen Winde jagen über das Blachfeld É
N
Anna saß Stunden um Stunden und schaute darüber hin, als gäbe es nichts mehr für sie zu tun, als über das Land zu blicken und über die Liebe zu sinnen.
S
Sie dachte sich noch einmal all die vergangenen Tage aus, wie sie waren oder wie sie hätten sein sollen, und jetzt erst wußte sie, wie schön diese Zeit gewesen und wie schön es war, daß Walter sie liebte. Und all die vielen Erzählungen, die sie langweilten, hatte sie vergessen über dem letzten Abschied in der Waldwiese, der von ferne immer geheimnisvoller wurde - von dem nur Loki wußte und die wilden Tauben, sonst niemand, auch Erli nicht.
U
Es war kein Mensch sichtbar weit und breit. Nur drüben auf dem Kamp, in großer Ferne, hob sich als Wahrzeichen der Einsamkeit die mächtige Gestalt des Schäfers vom gelben Himmel ab. Trotz seines aufgeregten Mantels, den der Wind faßte, blieb er selbst in unbeirrter Ruhe, hoch aufgereckt zwischen Himmel und Erde.
Aber auch zu ihm ging Anna jetzt nicht, wie sie früher als Kind getan hätte. Sie mußte allein sein und alles betrachten, was vor ihr in der großen Ferne lag.
Niemand wußte, daß es die Liebe war, der sie mit dunklen, fragenden Blicken nachschaute, weit über die heidigen Hügel hinaus.
N
Karoline wußte aber auch nicht mehr von der Liebe als Anna.
Nun lag der Tag weit zurück, da Karl Stodiek wiederkam, als der Roggen geschnitten war und in Garben stand. Er sah sie schon von weitem, wie sie mit ihren Leuten den Erntewagen auflud, während ihr ältester Junge, »de lütte Buer«, wie sie ihn nannten, mit selbstbewußter Peitsche von Stiege zu Stiege lenkte.
Karl Stodiek sah Karolinens kräftige Bewegungen beim Aufladen und wie sie nicht abließ von der Arbeit, so heiß es auch war. Karl Stodiek schlug das Herz; ob sie wohl mitkäme? Er mußte einen Augenblick vor diesem Zweifel stehen bleiben und zusehen. Aber er ging doch, denn er war fromm und glaubte an die starke Liebe.
Aber es wäre besser gewesen, umzukehren, denn es gab Stärkeres als die Liebe; er mußte die Mütze in seiner Hand sehr fest in den Fingern zusammenpressen, als Karoline ihm sagte, sie könnte den Hof nicht hergeben; den hätte sie wieder heraufgearbeitet, als Nordkämper ihn hatte verkommen lassen; nun müßte er für ihre Kinder bleiben, denn das wären richtige Bauern. Sie sagte es mit einem so verschlossenen, unerschütterlichen Gesicht, daß sie beinahe hochmütig aussah, die feine, sanfte Karoline. Und es wäre für Karl Stodiek besser gewesen, umzukehren, als er sie beim Erntewagen sah É
Mit der Zeit überkam Anna eine große Scham darüber, daß sie sich so sehr von der Liebe hatte stören
lassen in all ihrem ernsthaften tüchtigen Vorhaben; solch eine Scham, daß wohl vorm nächsten Abendmahl die ganze Liebe herausgeräumt werden mußte aus ihrer Seele, damit wieder Raum wurde für das andere, Wichtige, was irgendwo hinter klugen, unbequemen Höhen auf sie wartete.
A
Besonders, wenn zuweilen die Mütter in Mitleidenschaft gezogen wurden und sich weinend in die Arme sanken, weil eine ihnen so ersehnte Verbindung nicht zustande kam. Man mußte sich genieren, wie man dabei stand und keinen tieferen Gedanken aufbringen konnte als den Wunsch nach Beendigung dieses peinlichen Augenblickes.
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So ging es mit dem schönen Friedrich vom benachbarten Hilverdinsen, der wochentags seine Leute auf dem Hofe anschimpfte mit einer scharfen Stakkatostimme und Sonntags ausgezeichnete Manieren hatte.
J
Sein Sohn hatte keine derartig liebenswerte Eigenschaft; darum wollte Anna ihn auch nicht heiraten.
Waren die Störungen, die von dieser Art Liebe herrührten, gerade nicht schwer und nachhaltig, so dauerte es doch immerhin einige Zeit, sie zu überwinden. Wenn man sich auch zur schnelleren Beruhigung sagte: »Ich konnte nichts dafür«, so hatte man doch ab und zu gemerkt, daß man sehr nett gefunden wurde, und war noch ein klein bißchen netter. Und das hätte nicht sein dürfen.
A
Artikel vom 06.02.2006