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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Bernd Tiggemann


Liebe Leserinnen und Leser,
die ruhigen und besinnlichen Tage von Weihnachten und Neujahr liegen hinter uns. Es ist Zeit, den ganzen Klüngel wieder raus zu werfen aus den Wohnungen, wenn Sie es nicht schon längst getan haben. Raus mit den vielen Kerzen. Weg mit Tannengrün und Engelsfiguren. Aus und vorbei für den Tannenbaum, den viele schon zum Jahreswechsel oder kurz darauf entsorgt haben. Alles muss raus.
Dieses Motto hat schon vor Jahren ein erfolgreicher schwedischer Einrichtungskonzern entdeckt und das ganze Knut genannt. Knut gibt dem Weihnachtsmann die Klinke in die Hand. Jedenfalls tritt er immer unmittelbar nach Weihnachten und dem Jahreswechsel in Erscheinung. Und wenn er kommt, dann heißt es aufgepasst, denn dann fliegen die Tannenbäume wieder tief.
Kürzlich hatte ich Gelegenheit, ihn in einer Bielefelder Filiale des Unternehmens persönlich kennen zu lernen. Heute wünschte ich, diese Begegnung wäre mir erspart geblieben. Denn was das Unternehmen unter »Alles muss raus« vermarktet, bedeutete für Tausende Ostwestfalen an diesem Tag »Alles muss rein«. Und zwar ausgerechnet in dieses skandinavische Möbelhaus, just zur besten Spätnachmittagszeit, als auch ich mit meiner Frau eher zufällig als triebgesteuert den Laden betrat.
Doch bevor es am Ende für die gekaufte Ware hieß »Alles muss rein«, diesmal auf dem proppevollen Parkplatz in das viel zu kleine Auto, wurde uns an der Kasse eine respektable Wartezeit beschert, die es durchaus mit der Adventszeit aufnehmen könnte. Und das, obwohl man eher Gefahr lief, von einem fallenden Nadelholz am Kopf erwischt zu werden als dass man sagen könnte, dass einem an diesem denkwürdigen Tag die Klamotten hinterher geschmissen worden wären.
»Alles muss rein«: Mit diesem Gedanken an eine Frischzellenkur für das eigene Inventar standen meine Frau und ich an diesem Tag jedenfalls nicht alleine da. Genauso wie viele Politikerinnen und Politiker hierzulande, die gerade wieder unisono das Lied von der Stallpflicht für das grippegeplagte Federvieh intonieren. Alles muss rein in den Stall. Dabei hatte ich gedacht, dass es nach St. Martin und dem Weihnachtsfest kaum noch Hühner, Enten und Gänse, geschweige denn Puten in Deutschland gäbe. Aber das ist ein anderes Thema. Die Vogelgrippe zieht jedenfalls weiter westwärts. Unaufhaltsam, wie es scheint.
Beinahe so, wie vor 2000 Jahren die Heiligen drei Könige, die sich auf den Weg gemacht hatten, um rein zu kommen in Bethlehems Stall, damit sie das Kind sehen könnten, zu dem hin sie der Stern geführt hatte. Als sie dort angekommen waren, hieß es auch »Alles muss rein«: alle drei Könige zusammen mit ihren kostbaren Geschenken Gold, Weihrauch und Myrrhe.
Das haben sich am vergangenen Wochenende auch Bürgermeister Paul Hermreck, Dirk Hildebrandt und Franz-Josef Grewing von der Verwaltung der Gemeinde Verl gedacht. Die haben es sich nicht nehmen lassen und sind selbst kurzerhand reingesprungen in die Klamotten von Caspar, Melchior und Balthasar, um im Ortsteil Sürenheide vorbildlich von Tür zu Tür zu ziehen. Natürlich mit dem dezenten Hinweis, dass auch für die mitgebrachte Geld-Dose das Motto galt »Alles muss rein«.
Alles rein, alles raus - ja was denn jetzt? Den Tannenbaum, den geb' ich gerne her. Wegen meiner auch die Kerzen, Lichter und Weihnachts-Transparente. Sogar die Engel können raus an die frische Luft. Schließlich sind sie kein Geflügel. Aber die Weihnachtsbotschaft, die wir erst vor drei Wochen in unsere Wohnzimmer und vielleicht sogar in unsere Herzen hinein gelassen haben, die gebe ich ungerne wieder her. Dass Gott Großes für uns Menschen getan hat, indem er ganz klein wurde, dass er für uns, die wir uns für mächtig und stark halten, eine Schwäche hat, das möchte ich das ganze Jahr über hören. Es tut mir gut, das zu wissen. Und es befreit mich davon, ständig alles tun zu müssen, nur um selbst möglichst groß und wichtig zu sein. Alles muss rein? Bestimmt nicht. Die Botschaft von dem menschenfreundlichen Gott dafür umso mehr.
Ich hoffe, Sie, liebe Leserinnen und Leser, nicht völlig verwirrt zu haben, aber das alles musste einfach mal raus. Seien Sie herzlich gegrüßt,

Ihr Pastor Bernd Tiggemann

Artikel vom 14.01.2006