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Auf dem Weg in
die »Neue Welt«

Der Journalist Friedel Schütte auf Spurensuche

Kreis Herford (EA). Friedel Schütte, Journalist aus Löhne und langjähriger Auswandererforscher, hat ein neues spannendes Buch veröffentlicht: »Westfalen in Amerika«. Darin beschreibt er auf eindrückliche Weise die Schicksale, aber auch Abenteuer westfälischer Einwanderer. Das Buch, das jetzt im Landwirtschaftsverlag Münster erschienen ist, enthält Reportagen über prominente westfälische Amerika-Auswanderer aus dem Kreis Herford.
Der erste Strom arbeitsloser und hungernder Westfalen des 19. Jahrhunderts segelte Anfang der 1930er Jahre nach Amerika. An der Spitze der evangelischen Auswanderer stand 1833 der spätere Schwiegersohn des damaligen Herforder Landrats Philip von Borries, Pastor Hermann Garlichs. Dessen heimliche Braut Adelheid von Borries folgte ihm zwei Jahre darauf in die unbekannte Wildnis. Noch einmal 40 Jahre später reisten zwei Vettern, und zwar die benachbarten Gutsbesitzer Dr. Rudolf von Borries und Wilhelm von Laer nach New York, um dort die Töchter des Auswandererpastors Garlichs namens Annette und Bertha zu heiraten und nach Ostwestfalen heimzuführen.
Zwischen diesem Anfang und Ende amerikanischer Familiengeschichte derer von Borries - Garlichs - von Laer liegen Jahrzehnte ungeahnter Entbehrungen für Hermann Garlichs, seine Frau Adelheid geb. von Borries und deren Kinder. Wie sie in der unwegsamen Prärie des Mittleren Westens in Blockhütten lebten, ihre erste Gemeinde aufbauten, Kinder zur Welt brachten und verloren, in New York schließlich als prominente Lutheraner Karriere machten und Adelheid Garlichs nebst Tochter Emma in ihrem Heimatland eines plötzlichen Todes starb: »Aus Liebe nach Amerika« ist zwar eine sehr ausführliche, aber längst nicht die einzige Reportage über prominente westfälische Amerika-Auswanderer aus dem Kreis Herford. Friedel Schüttes über 40 beispielhaften »Heroes« stammen mindestens fünf aus dem Kreise Herford oder haben Verbindung mit Herforder Amerikafahrern des 19. Jahrhunderts gehabt. Immerhin sind zwischen 1830 und 1900 rund 300 000 Westfalen arbeitslos und hungernd in die »Neue Welt« gesegelt, davon weit mehr als 10 000 aus dem Kreis Herford. Warum und wie sie auswanderten und was aus ihnen geworden ist: Das alles wird in Schüttes Buch plausibel erklärt und beschrieben. Ein langes Kapitel widmet der Autor auch den 19 US-Partnerschaften Westfälischer Städte, wie etwa der Sister-City-Verbindung Herford - Quincy (Illinois) sowie Rödinghausen - Pemberville (Ohio).
Im Mittelpunkt stehen jedoch 40 ganz besondere US-»Heroes« aus Westfalen: Arbeiterführer, Revolutionäre, Bauern ohne Land, verwegene Abenteurer und Goldsucher, »kleine Leute« und Adelige, oder mutige Pfarrer als Pfadfinder in der Fremde - jedenfalls alles Westfalen, davon nicht wenige aus dem Kreis Herford. In Amerika zum Teil große Leute, ja berühmt geworden - hier zu Haus dennoch bis heute oft unbekannt geblieben. Wie der in Enger geborene Sprachenlehrer und »Achtundvierziger« Revolutionär Julius Vordtriede, Leitartikler, Zeitungsverleger und Politiker in Ohio, ferner Redakteur einer neuen Verfassung für den Staat New York.
Oder der Jurist Wilhelm von Laer (1829 - 1926) von Oberbehme. Anwalt und Lehrer notleidender Spinner und Weber, Buchautor und Reformer der Landwirtschaft. 1850 heimlich nach New York geflohen. Zusammen mit gleichgesinnten Kollegen wie David Groneweg aus Gütersloh und Julius Vordtriede, der auf der Flucht vor preußischer Polizei in Gütersloh untergetaucht war. Wie diese demokratischen Gesinnungsfreunde alle zusammen in der »Neuen Welt« ihre dortigen Existenzen aufbauten und später manch einer, zum Beispiel Wilhelm von Laer, wieder heimkehrte - letzterer aus Liebe zu seiner vorher zurückgereisten Braut Luise (»Witta«) Groneweg - , ist bei Schütte überaus spannend nachzulesen. Wilhelm von Laers größte Lebensleistung war die Umsetzung beruflicher Erkenntnisse aus Amerika in Westfalen: Als von Laer in Ohio eine Farm kaufen wollte, besaß er selbst nur ein paar hundert Dollar. Doch ein lokaler Banker bot ihm »so viele Dollars, wie Du Land kaufen willst.« Sicherheit: Ein Grundpfandrecht in die erworbenen Ländereien zu Gunsten der Bank.
So etwas kannte man damals in Deutschland (noch) nicht. Und von Laer setzte es, 1859 nach Oberbehme heimgekehrt, beim Westfälischen Bauernverein in Münster um, indem er die »Westfälische Landschaft« als Hypothekenbank für Bauern und Gutsbesitzer gründete. Ein Institut, mit dessen grundpfandgesicherten Krediten in den folgenden Jahrzehnen Tausende Höfe in Westfalen systematisch entschuldet oder maschinell aufgerüstet werden konnten.
Bauernsohn Peter Friedrich Taake/Tarke (1824 - 1888) aus Löhne-Ort ging 1844 mit seinem Vetter Fritz Höke aus Rehmerloh heimlich fort, weil er nicht Soldat werden wollte. Via St. Louis kamen die Freunde 1849 nach Kalifornien, wo sie Gold fanden und vor allem mit der Lebensmittelversorgung für Goldsucher ein Vermögen machten. So viel, dass P. F. Tarke, wie er sich jetzt schrieb, am Feather River eine riesige Ranch kaufen konnte, wo seine Nachfahren heute noch als Großagrarier leben, auf deren mehr als 12.000 Morgen besten Ackerbodens Saatreis und Dünger mit Flugzeugen ausgestreut werden - so riesengroß sind die Felder.
Schließlich hat Friedel Schütte noch einen zweiten, außergewöhnlichen Mennighüffer Jungen als Amerikaauswanderer (im Süden Afrikas!) aufgestöbert. Einer, der mit seiner Familie 1844 zunächst nach Illinois auswanderte, dann aber von Amerika zurück nach Deutschland geschickt wurde, um hier Missionar der Rheinischen Mission für Deutsch-Südwestafrika (Namibia) zu werden: Gottlieb Viehe (1839 - 1901). Ein Westfale (dessen Vater übrigens von einem Bauernhof in Häver stammte und Niederstucke hieß!) und der nach seiner Ausreise gen »Deutschsüdwest« schon bald die Sprachen der Eingeborenen beherrschte. Und ihre Geschichte(n) aufschrieb, Freund der Hereros war und, solange er lebte, sie vor Unterdrückern und Ausbeutern in Schutz nahm. Ferner, dessen in USA. verbliebenen Brüder als Ärzte, Anwälte und Politiker ebenfalls große Leute geworden sind. »Westfälische Heroes in Amerika«, wie Friedel Schütte die friedlichen Helden seines Buches gern nennt.
Das Buch »Westfalen in Amerika« (248 S., über 196 Illustrationen) ist soeben im Landwirtschaftsverlag GmbH Münster unter der ISBN-Nummer 3-7843-3356-7 erschienen und kostet 34,95 Euro.

Artikel vom 13.01.2006