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Tausende buchen »Automitfahrten« im Internet

Hohe Spritpreise machen »Ferntaxis« attraktiv - Trabant bis Mercedes - Gesellschaft gegen Langeweile

Von Ulf Mauder
Stuttgart (dpa). Über das matschige Feld an der Autobahn 61 bei Koblenz hetzt Sabine von ihrer Nachtschicht. Hochrot ist das Gesicht der jungen Frau, nass vom Schweiß wirft sie ihren Rucksack über den Drahtzaun. Sabine nimmt die Hürde, um ihr Auto auf dem Rastplatz noch zu kriegen. Ihre Mitfahrgelegenheit nach Weißenfels wartet.

Die junge Ärztin will ihre Oma zum 90. Geburtstag mit einem Besuch überraschen. 20 Euro zahlt sie dem Fahrer für die etwa 400 Kilometer lange Strecke. Als Billigreisemittel erleben die Mitfahrgelegenheiten besonders wegen der hohen Spritkosten einen wahren Ansturm.
Mit den preiswerten Ferntaxis - vom Trabant bis zum Mercedes mit Lederausstattung - wollen die Fahrer vor allem ihre Benzinkosten decken. »Außerdem vergeht die Zeit in Gesellschaft meist ein bisschen schneller«, sagt Fahrer Marco Hompes. Wenn er verreist, stellt er seine Fahrten ins Internet. Über die Seiten von mitfahrzentrale.de und mitfahrgelegenheit.de trägt er die wichtigsten Kontaktdaten ein: Name, Telefonnummer, E-Mail-Adresse und einige freiwillige Angaben wie Fahrzeugtyp, Farbe und Kennzeichen.
Auch das Nichtraucher-Kästchen kreuzt der 20 Jahre alte Zivildienstleistende an. »Wer im Auto rauchen will, den nehme ich nicht mit«, sagt der Stuttgarter. Auf der Internetseite gibt Marco an, wie viele Plätze in seinem Auto frei sind, wann und wo die Fahrt losgeht, und wo sie endet.
In Leipzig erzählt der Freiberufler Bernd Milde, dass er mittlerweile schon Mitfahrer hat, die regelmäßig bei ihm buchen. Aus gutem Grund, denn es gebe Fahrer, bekommt der Pendler zwischen Dresden und Leipzig zu hören, die schmeißen Begleiter an der Autobahn raus nach der Devise: »Ab da fährt die Straßenbahn.« Meist sind seine Mitfahrer Studenten, Verkäuferinnen, die nach nach der Arbeitswoche nach Hause müssen - oder Arbeiter aus dem neuen BMW-Werk in Leipzig, die sich noch nicht zu einem Umzug nach Leipzig entscheiden konnten.
Wer ein Inserat im Internet liest, ruft meist an oder schickt per Handy SMS-Kurznachrichten oder eine E-Mail, um zu buchen. Die Reisegründe der Mitfahrer sind fast so vielfältig wie die Ziele. Viele junge Leute halten so ihre Wochenendbeziehungen am Leben, ohne sich dabei finanziell zu ruinieren.
»Manchmal erwischt man Schrottkisten, da wird einem Angst und Bange. Es ist eng wie in einer Sardinenbüchse. Einmal war ein eingeschlagenes Seitenfenster hinten nur mit einer Pappe abgedeckt«, erzählt der Student. Auch endlose Staus haben ihm schon den Spaß verdorben.
Zuweilen müssen sich Fahrer wegen der Inserate im Internet auch Beschimpfungen anhören: Die Fahrpreise seien »Wucher«, und andere würden weniger Geld nehmen. Und überhaupt sei die Idee der Mitfahrzentrale, dass sich alle im Auto die Benzinkosten teilen, meinen die Feilscher. 30 Euro für knapp 600 Kilometer von Trier nach Leipzig seien da schon unverschämt. »Wem das nicht passt, der lässt es«, sagt Marco. Die Kosten bestehen eben nicht nur aus Benzingeld.
»Fahrpreise sind reine Verhandlungssache, Orientierungshilfe geben die Online-Rechner der Mitfahrzentralen«, sagt Matthias Knobloch vom Auto Club Europa (ACE). Er warnt vor überteuerten Fahrpreisen. Wer es als Fahrer übertreibe, könne leicht wegen gewerblicher Personenbeförderung Ärger mit dem Finanzamt bekommen. Auch der Versicherungsschutz steht auf dem Spiel, wenn einer mit seinem Privatauto Geld verdient.
Insgesamt befürwortet der ACE die Mitfahrgelegenheit - besonders mit Blick auf den drohenden Wegfall der Pendlerpauschale. Zudem gebe es mit mehreren Menschen im Auto deutlich weniger Unfälle als bei Alleinfahrern, sagt der ACE-Verkehrspolitiker. »Die Haftpflichtversicherung deckt Unfallkosten in der Regel ab«, sagt er. Knobloch rät den Fahrern, sich eine Haftungsbeschränkung ausfüllen zu lassen. »Außerdem sollte jeder Teilnehmer einer Fahrgemeinschaft eine Unfallversicherung haben«, sagt er.
Allein mitfahrzentrale.de nennt mehr als eine halbe Million Menschen, die sich monatlich einloggen. Sie bekommen gegen eine Gebühr die Telefonnummer des Fahrers oder können sich per E-Mail völlig kostenlos verabreden. Das Portal www.mitfahr-gelegenheit.de ist insgesamt gratis, allerdings stehen hier auch abgelaufene Fahrten weiter im Netz.
Nach einer Umfrage der EuropaAlive Medien GmbH, die mitfahrzentrale.de betreibt, werden täglich mehr als 10 000 Fahrten vermittelt. Fast 60 Prozent der Fahrer sind jünger als 30 Jahre.
Doch die alteingesessenen Mitfahrzentralen in den Städten sind auf die unkontrollierten Dienste im Internet nicht gut zu sprechen. So würden etwa Datenbestände schlecht gepflegt. »Das Internet hat den Ruf der Mitfahrzentralen verdorben«, schimpft Lucian Scheliga, Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Deutscher und Europäischer Mitfahrzentralen (ADM), in Leipzig. In 34 Städten gibt es die Büros der Mitfahrzentrale. Diese hätten ihr Angebot etwa mit einem Mitwohndienst weiter entwickeln und auch ins Internet stellen müssen. In seiner Stimme schwingt Ärger mit, dass viele Fahrer - um die 15 Prozent - zu der Internet-Alternative gewechselt haben. Er will schon Geschichten von Raubüberfällen und sexueller Belästigung und über Fahrer gehört haben, die von ihren Mitfahrern zusätzliches Geld erpresst haben sollen. Zwar kassiert die Mitfahrzentrale eine Kommission von den Mitfahrern. Doch dafür wissen sie, mit wem sie reisen und sind versichert. Wie hier in Leipzig sind die Fahrer registriert. Wenn es Beschwerden über sie gibt - etwa wegen zu schnellen Fahrens, droht eine Sperre. »Die Fahrer selbst können wiederum immer sicher sein, dass sie ihr Geld erhalten«, betont Scheliga.

Artikel vom 10.01.2006