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Israels Regierungschef Scharon
kämpft seine letzte Schlacht

77-jähriger Ministerpräsident galt seinen Landsleuten als unbesiegbar

Jerusalem (Reuters). Israels Ministerpräsident Ariel Scharon galt seinen Landsleuten jahrzehntelang als unbesiegbar: Was der ehemalige General und spätere Politiker anpackte, zog er durch. Die Israelis nannten ihn deswegen »Bulldozer« und trauten dem Konservativen mehr zu als allen Politikern seit ihrem ersten Ministerpräsidenten David Ben-Gurion, sogar eine Lösung des Konfliktes mit den Palästinensern.
Mit Helm und schusssicherer Weste 1982 in Ost-Beirut.: Der damalige Verteidigungsminister Ariel Scharon (r.) hatte den Befehl zum Einmarsch israelischer Truppen in den Libanon erteilt.Ariel Scharon 1971 mit Premierminister David Ben Gurion. Scharon war damals Generalmajor.
Nun liegt der 77-jährige Regierungschef auf der Intensivstation eines Jerusalemer Krankenhauses und ringt mit dem Tod. Nach einem zweiten, schweren Schlaganfall und massiven Blutungen im Gehirn ist seine Rückkehr auf die politische Bühne des Landes kaum mehr zu erwarten.
Bereits Mitte Dezember hatte der übergewichtige Scharon einen Schlaganfall erlitten, den seine Ärzte als leicht beschrieben. Nur drei Tage später kehrte der 77-Jährige jedoch ins politische Tagesgeschäft zurück und trieb mit alter Vehemenz seine eben in Angriff genommenen Pläne voran. Seine neu gegründete Partei Kadima sollte nicht nur die politische Landschaft Israels grundlegend verändern, sondern auch die des Nahen Ostens.
Scharon hatte im November eine dieser radikalen Entscheidungen gefällt, für die ihn die Menschen bewundern und fürchten: Er wollte sich nicht mehr von rechts-nationalen Kritikern die Hände dabei binden lassen, Israelis und Palästinenser räumlich so weit wie möglich zu trennen und damit die offene Gewalt zwischen den Konfliktparteien zu beenden.
Dafür verließ er seine langjährige politische Heimat, den Likud. Dafür ordnete er den Bau einer massiven Sperranlage zum palästinensischen Westjordanland an, für die Israel international heftig kritisiert wurde. Dafür übergab Scharon aber auch den Gaza-Streifen nach 38-jähriger Militärherrschaft an die Palästinenser, die hier und im gesamten Westjordanland einen eigenen Staat errichten wollen.
Die verbündeten USA, die Europäische Union (EU), die Vereinten Nationen (UN), aber auch einzelne moslemische Staaten versprachen sich von dieser Entscheidung einen Fortschritt auf dem Weg zu einer Wiederbelebung des Friedensprozesses. Scharons Pläne gingen aber noch weiter. Er kündigte an, weitere besetzte Gebiete im Westjordanland aufzugeben und zugleich große israelische Siedlungen auf palästinensischem Land zu behalten.
Jüngsten Medienberichten zufolge wollte er damit vorläufige Grenzen eines künftigen Palästinenser-Staats festlegen. Die Palästinenser werfen ihm vor, damit einseitig eine Lösung des Konflikts diktieren zu wollen und sie mit Bruchstücken des geforderten Landes zurück zu lassen.
Scharon hätte Umfragen zufolge mit seinem Plan und seiner neuen Partei der politischen Mitte Ende März mit einem Wahlsieg rechnen können. Viele Israelis unterstützten den Politiker in der Überzeugung, der ehemalige General sei der einzige, der harte Entscheidungen in Israel und gegenüber den Palästinensern durchsetzen könne.
Mit einem Routineeingriff am Herzen wollten die Ärzte gestern das gesundheitliche Risiko des Politikers senken. Am Vorabend aber fühlte sich der 77-Jährige unwohl und musste in höchster Eile von seinem Hof im Süden Israels in die Klinik gebracht werden. Scharons Ausscheiden aus der Politik bedeutet mehr als einen Einschnitt für das Land: »Er hat uns zu neuen Ufern gebracht. Er gibt uns ein Gefühl der Sicherheit«, sagte der israelische Botschafter Shimon Stein in Berlin.
»In dem Moment, in dem Ariel Scharon geht, wird sich alles ändern«, sagt der Politikwissenschaftler Schmuel Sandler von der Universität Bar-Ilan.

Artikel vom 06.01.2006