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Von Stephan Rechlin

Gütersloher
Wochenschauer

Flucht aus der WM-Stadt


Gewiss, das ist toll, Gütersloh wird WM-Stadt. Die Portugiesen übernachten in Marienfeld und trainieren im Heidewald-Stadion. Vielleicht besucht Lothar Matthäus unsere Stadt, schlendert über den Berliner Platz, und man schnappt eines seiner berühmten Worte auf, zum Beispiel: »Ein Wort gab das andere - wir hatten uns nichts zu sagen.«
Vielleicht gibt es aber unter uns auch Menschen, denen das a) alles egal wäre und denen b) überhaupt noch nicht klar ist, wie lange so eine Fußball-Weltmeisterschaft dauert. Nämlich vom Tag des Rheumakranken an über den Welttag gegen Wüstenbildung und Dürre hinaus. Und selbst am Tag des öffentlichen Dienstes (der sonderbarerweise nicht auf einen Ruhe-, sondern einen Freitag fällt), ist die WM noch lange nicht vorbei. Nein, wir sagen es hiermit den Fußballmuffeln schonungslos offen: Sie währt einen ganzen Monat lang vom 9. Juni bis zum 9. Juli.
Natürlich wäre Verreisen eine Möglichkeit. Neckermann zum Beispiel bietet »zahlreiche Alternativen für Nicht-Fußball-Begeisterte«, etwa sieben Übernachtungen im Doppelzimmer auf Korfu mit Halbpension ab 482 Euro. Geht aber ab Nürnberg, und dann blieben ja immer noch drei Wochen Urlaub in WM-Gütersloh. Außerdem sollten sportliche Kostverächter auch kein TUI-Stufe-3-Hotel erwischen. Denn diese Kategorie hat der Reiseveranstalter für Gäste ausgesucht, die nur dann in Urlaub fahren, wenn sie möglichst viel von der Weltmeisterschaft mitkriegen. Wen es also in ein Stufe-3-Hotel verschlägt, muss mit verschärftem Torwandschießen am Morgen und einem Candlelight-Dinner in Nationaltrikots rechnen.
Dann vielleicht doch lieber zu Hause bleiben und dem ganzen Rummel vorbehaltlos begegnen. Und auf Berti Vogts treffen und von einem seiner Zitate profitieren, etwa: »Hass gehört nicht ins Stadion. Die Leute sollen ihre Emotionen mit ihren Frauen im Wohnzimmer ausleben.«

Artikel vom 07.01.2006