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Per Rad nach Las Vegas flitzen: Nur die Grizzlys bleiben sitzen

6900 Kilometer in 88 Tagen: Christian Pries erlebt Kanada auf dem Drahtesel

Kirchlengern (BZ). In 88 Tagen ist der Kirchlengeraner Christian Pries gemeinsam mit Andreas Hedwig aus Mülheim von Fairbanks/Alaska nach Las Vegas gereist - mit dem Fahrrad. Hier berichtet er über seine Erlebnisse. Aufgezeichnet von Reinhold Chaborski.

»Angekommen in Fairbanks haben wir sofort überprüft, ob unsere Räder den Flug gut überstanden haben. Doch alles war gut geschützt, es konnte losgehen! Alaska versteckte sich in den ersten Tagen unter einer Rauchschicht, weil es in den Wäldern zahlreiche Brände gab. Das änderte sich, als wir hunderte Kilometer weiter südlich waren. Endlich konnten wir die herrliche Aussicht auf die Wälder und die schneebedeckten Gipfel genießen. Doch bald waren unsere Vorräte aufgebraucht. Auf dem letzten Campingplatz am Denali Highway fragten wir einen Camper, wo wir etwas zu essen kaufen können. Er meinte, auf unserer Route gebe es nicht sehr viel. Sprach's, verschwand daraufhin und tauchte mit einem Brot, ein paar Äpfeln, selbstgepflückten Blaubeeren und Orangen wieder auf. Wenig später stand schon der Grenzübertritt nach Kanada an.
Über den sehr welligen Alaska-Highway machten wir uns auf den Weg Richtung Haines, von wo aus wir eine Fähre nach Prince Rupert nehmen wollten. Bis es allerdings so weit war, lag noch harte Arbeit vor uns. Rund um den Kluane Lake wehte extrem starker Gegenwind. Am Abend der Etappe hatten wir 90 Kilometer gefahren, mit einem Schnitt von 13 Kilometern in der Stunde. Am nächsten Morgen ging es dann fast nur noch bergab nach Haines Junction. Hier hatten wir leichteres Spiel: Schon wieder zurück in den USA, rasten wir mit 75 ÝSachenÜ eine 25 Kilometer lange Abfahrt herunter.
Die Fähre brachte uns dann südwärts, wo wir in Prince Rupert unsere Reise fortsetzten und nach Kanada zurückkehrten. Es regnete zwei Tage am Stück und noch dazu sank die Temperatur nachts unter den Gefrierpunkt. Die Strecke zwischen Prince George und Jasper zählte zu den verlassensten Gegenden der Reise. Zum Teil konnten wir 100 Kilometer fahren, ohne an einem Haus vorbei zu kommen. Was auf der Karte als Dorf eingezeichnet war, stellte sich nicht selten als eine Ansammlung von drei Häusern heraus.
Am Mount Robson legten wir einen Ruhetag ein, weil wir eine Wanderung zum Berg Lake machen wollten. Das ist ein 1840 Meter hoch gelegener See, in den der einzige nicht-polare Gletscher des amerikanischen Kontinents mündet. Die nächsten Tage verbrachten wir auf der Traumstraße Kanadas, dem Icefields Parkway. Der bescherte uns gleich mehrere Pässe von mehr als 2000 Metern Höhe, belohnte die Anstrengungen aber immer wieder mit traumhaften Panorama-Ausblicken.
Von Banff aus folgten wir dem nicht asphaltierten Smith Dorien Spray Trail gen Süden und machten dabei eine der nachhaltigsten Erfahrungen: Nur einige Meter vor uns hatten sich zwei Grizzly-Bären zum Mittagessen niedergelassen. Die riesigen Gestalten flößten uns gehörig Respekt ein, wir hielten erst einmal an. Zum Glück waren die brummenden Tiere zu sehr mit sich selbst beschäftigt und bemerkten uns nicht. Dennoch waren wir heilfroh, als das Bärengebiet bald hinter uns lag, ohne unser Bären-Abwehrspray benutzt zu haben.
Ein letztes Mal überquerten wir noch die kanadisch-amerikanische Grenze und kurze Zeit später endete der nördliche Teil unserer Reise. Da wir die Einöde in Montana mit endlosen Hochplateaus und Gegenwind nicht wirklich sehen wollten, mieteten wir kurzerhand ein Auto und fuhren damit in Richtung Süden bis kurz vor Salt Lake City. Auf diese Weise konnten wir in den nächsten Wochen den Südwesten mit seinen zahlreichen Canyons in Ruhe genießen. Auf dem Weg nach Salt Lake City durchquerten wir noch den Yellowstone National Park und schauten ein paar Geysire an.
Ein paar Tage später im Cedar Breaks National Monument lohnte sich der dicke Schlafsack dann richtig. Morgens zeigte das Thermometer minus vier Grad Celsius. Kein Wunder, lag doch unser Nachtquartier auf 2500 Metern. Am folgenden Tag führte uns die Straße sogar auf über 3000 Meter. Da das Land Richtung Arizona stetig abfällt, konnten wir uns den ganzen Tag über die Sicht auf die roten Felsformationen des Zion Nationalparks freuen. Die folgenden Wochen bescherten uns immer wieder unvergleichliche Ausblicke. Ein ganz besonderes Highlight wartete auf der Passhöhe des Boulder Mountain auf uns. Wir schlugen unsere Zelte auf 2800 Metern Höhe auf, genossen Sonnenunter- und -aufgänge.
Die beiden Touristenziele Grand Canyon und Monument Valley standen noch auf unserem Plan. Ebenso das Mekka des ÝMountainbikingsÜ, Moab, ein Mountainbike-Kurs über extrem griffigen Fels. 6900 Kilometer und 62.000 Höhenmeter standen am Ende auf dem Tacho. Doch das Schwitzen hat sich gelohnt. Ich kann jedem solch eine Radtour wärmstens empfehlen legen. Wie formulierte schon der Schriftsteller Mark Twain: Besorg' dir ein Fahrrad. Wenn du lebst, wirst du es nicht bereuen.«

Artikel vom 06.01.2006