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Von Pfarrer Detlef Scheiding

Das Wort zum Sonntag


Der Affenprozess - unter diesem Titel ist vor Jahren in den USA eine Auseinandersetzung bekannt geworden, die im Augenblick erneut das Land spaltet und sogar in Deutschland die Tagesthemen füllt. Es geht um die Frage, wie die Erde entstanden ist und ob der Mensch vom Affen abstammt (daher der Name). Der Lehrer, der damals die naturwissenschaftliche Sicht in seinem Unterricht gelehrt hatte, wurde verurteilt. Diese Entwicklung macht mir große Sorge. Denn im Hintergrund geht es um eine Auseinandersetzung zwischen fundamentalen, evangelikalen Richtungen und ordentlicher, seriöser Theologie.
Verstehen kann man das Ganze nur, wenn man sich die theologische Landschaft in den USA anschaut. Dort kann jeder, der eine fromme Großmutter oder einen Traum in der Nacht hatte, eine eigene Gemeinde gründen. Und was er dort verkündigt, ist seine Sache. Entsprechend haarsträubend ist oft, was da zu hören ist. Dies ist in Deutschland (zumindest bei den Landeskirchen) so nicht möglich. Noch nicht. Bei uns muss jeder Theologe und jede Theologin erst einmal ein Hochschulstudium nachweisen und zwei Examina ablegen, bevor sie mit der öffentlichen Wortverkündigung beauftragt werden. Auch danach gibt es noch Kontrollen: Man kann jederzeit aus dem Amt wieder entfernt werden, wenn die Lehre theologisch nicht haltbar ist.
Schon länger werden die Pfarrer und Pfarrerinnen der Landeskirchen offen zu Gemeindebildungskongressen eingeladen. Das Ziel ist, auch in Deutschland freie Christengemeinden zu gründen, die im Augenblick überall wie Pilze aus dem Boden schießen und für viele sehr ansprechend sind. Hier entstehen Personalgemeinden, die oft durch ein e.V. unangreifbar gemacht werden, und die ähnlich wie in Amerika alles verkündigen dürfen, was sie wollen.
Das Ergebnis sind auch in unserem Land zunehmend fundamentale Tendenzen, die nachdenklich stimmen. Hier werden Gegensätze zwischen Naturwissenschaft und Theologie aufgebaut, die in Wirklichkeit so nicht bestehen.
Man muss sich dabei vor Augen halten, wo die Bibel entstanden ist, nämlich im Orient. Wenn dort Wahrheiten vermittelt werden, geschieht dies weniger in Form eines wissenschaftlichen Berichts als vielmehr mit Hilfe einer Geschichte. Der Orientale erzählt Geschichten, so wie Jesus später auchÊ Geschichten und Gleichnisse erzählt hat, um seinen Landsleuten Zusammenhänge klar zu machen.
So ist auch die Schöpfungsgeschichte eine sehr kunstvolle und aussagekräftige Geschichte, und nur so will sie gelesen und verstanden werden.
Die Wahrheit, die mit Hilfe dieser Geschichte erzählt wird, ist die, dass Gott der Ursprung des Lebens ist. Wenn Adam zeichenhaft aus Dreck, aus Erde gemacht wird, so ist dies ein kluger, erzählerischer Hinweis, was er ohne Gott ist: nämlich nichts. Nur durch den Lebensodem Gottes wird er und ohne den Lebensodem Gottes stirbt er. Das Leben des Menschen ist somit Gabe, Geschenk und gleichzeitig Aufgabe, Verantwortung gegenüber seinem Schöpfer und seinen Mitgeschöpfen.
Wenn Eva aus der Rippe des Adam geformt wird, so ist dies eine aussagekräftige Möglichkeit, die Zusammengehörigkeit von Mann und Frau auszudrücken und ihre enge Verbundenheit zu betonen. Wer die Zeichensprache der Bibel nicht versteht und fordert, diese Zeilen müssten wörtlich genommen werden, liegt völlig daneben und hat nicht verstanden, mit der Bibel umzugehen. Er ist erschütternd, wie in Amerika Menschen mit sonst hohem Bildungsniveau fordern, man müsse gleichnishaft gemeinte Aussagen der Bibel auf jeden Fall wörtlich nehmen, weil es nun mal so da steht.
Wer auf diese Weise einen Gegensatz zwischen Naturwissenschaft und Bibel konstruiert, hat nicht gelernt, die Bibel zu lesen. Theologie und Naturwissenschaft sind keine Gegensätze, sondern wie zwei Brüder, die sich gegenseitig ergänzen: Der Eine erzählt, woher wir stammen und der Andere kann erklären, wie das gelaufen ist.
Deswegen ist es bedenklich, mit dem Ruf »Die Laien können das genauso gut.« die Pfarrerschaft mehr und mehr aus den Gemeinden sowie den öffentlichen Religionsunterricht aus den Schulen zu verdrängen. Um eine Gemeinde theologisch verantwortlich leiten zu können, braucht es Bildung und Ausbildung. Und die Gemeindeglieder tun gut daran, sich ihre theologische Bildung nicht aus irgendwelchen Zeitschriften oder von selbsternannten Gemeindeleitern zu holen, sondern dort, wo sie über Jahrhunderte verantwortlich gelehrt wurde: in den anerkannten Kirchen und Schulen.
Auch wenn man vielleicht immer schon meinte, die alten Kirchen wären überholt und nicht mehr zeitgemäß: Bis jetzt gibt es für mich keine Alternative, die ihnen das Wasser reichen könnte. Deswegen sollten wir unsere kirchlich gewachsenen Strukturen nicht ohne Not aufgeben. Nicht alles, was zeitversetzt aus Amerika kommt, ist gut für unser Land, und nicht überall, wo angeblich gerade der Geist Gottes weht, weht wirklich der Geist Gottes.

Artikel vom 14.01.2006