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Kompanie über Nacht aus dem Dorf gebracht

Erinnerungen an das Kriegsende

Von Dieter Besserer
Pr. Oldendorf (WB). Noch leben die letzten Zeitzeugen die das Kriegsende 1945 und das erste Jahr nach dem Krieg erlebt haben. Dies gilt insbesondere für Wilhelm Temme, der aus Schröttinghausen in der Stadt Pr. Oldendorf stammt. Ihre Erinnerungen sollen wach gehalten werden, denn die gesamte Bevökerung verdankt ihnen viel.
Wilhelm Temme ist es zu verdanken, dass Pr. Oldendorf und Harlinghausen am Kriegsende vor einer Katastrophe bewahrt blieb.
Heinrich Niedernagel gehörte zu den Harlinghauser Bürgern, die sich bei Kriegsende für die Belange der Mitbürger einsetzten.Fotos (2): Besserer

In den ersten Monaten des Jahres 1945 war die Angst in Pr. Oldendorf groß. Selbst hier war das Grollen der Bombenabwürfe auf die Städte wie z. B. Osnabrück zu hören, und es wurde ein solches Bombardement auf das Tanklager der Luftwaffe am Wiehengebirge in unmittelbarer Ortsnähe befürchtet.
Dazu kam es jedoch nicht und am 3. April 1945 wurde Pr. Oldendorf von den alliierten britischen Truppen besetzt, deren Panzer über die »Reichsstraße 65« von Westen kommend in den Ort einrückten.
In den folgenden Wochen herrschte ein noch kriegsähnlicher Zustand, denn versprengte deutsche Truppen gab es noch häufig. So auch am 4. April 1945, einen Tag nach dem Einmarsch, worüber Wilhelm Temme in seinen Erinnerungen berichtet.
Temme war als 23-jähriger Soldat nach schwerer Verwundung aus dem Heer entlassen worden. Außer ihm gab es in Harlinghausen und der Umgebung nur noch Frauen, alte Männner und Jugendliche.
Am Tage nach dem Einmarsch der Besatzungstruppen kamen plötzlich der Harlinghauser Bürgermeister Franz Fahrmeyer und Landwirt Heinrich Niedernagel zu Wilhelm Temme nach Schröttinghausen, und beschrieben ein großes Problem. Bei dem Landwirt Husemeyer am heutigen Dillenweg habe sich eine teilweise noch schwer bewaffnete Kompanie mit etwa 100 deutschen Soldaten einquartiert und verlange Verpflegung. Sie hätten von ihrer Einheit den Befehl, bis an die Weser geführt zu werden, um dort weiter zu kämpfen. In Harlinghausen und in Pr. Oldendorf habe sich niemand für die Führung gefunden. Die Kompanie habe damit gedroht die Reichsstraße 65 zu sprengen und sich dort einzugraben, damit kein militärischer Verkehr durch Panzer und Fahrzeuge möglich sei.
Beiden Harlinghauser Männern stand das Schicksal des Stiftsorts Levern am Vortage vor Augen, wo es nach dem Widerstand deutscher Truppen zu einer größeren Gefechtshandlung mit etlichen Toten - auch aus der Zivilbevölkerung - gekommen war. Wilhelm Temme wurde inständig gebeten, die Kompanie auf dem schnellsten Wege fortzubringen.
Nach längerer Überlegung sagte er bei diesem für ihn risikoreichen Unternehmen zu, obwohl die britische Besatzungsmacht am Tage nach dem Einmarsch bereits die Kanalbrücken und Straßenkreuzungen kontrollierte. Temme kannte jedoch die kleine Neuenfelder Brücke in Getmold, die nach seiner Recherche nicht bewacht wurde. Er führte die Kompanie nachts über den Kanal und dann zur sogenannten »Tannenschmiede« in Lashorst. Von dort ging es bei Nacht und Nebel bis in die Gegend zwischen Frotheim und Lavesloh, wo die Kompanie bei einem Bauern einquartiert wurde.
Am nächsten Tag, am 5. April 1945, war Wilhelm Temme wieder gegen 16 Uhr in Schröttinghausen. Auf diese Weise ging in Harlinghausen und Pr. Oldendorf der Krieg noch einigermaßen glimpflich ohne größere Verluste zu Ende.
In der nächsten Zeit wollten die englischen Besatzungstruppen die Benzinleitung vom Getmolder Kanalhafen zum Lufttanklager am Wiehengebirge sprengen. Daran erinnert sich Dr. med. Paul Lücker sen. aus Pr. Oldendorf. An dieser Benzinleitung verlief auch die Trinkwasserleitung vom Wasserwerk in Harlinghausen zum Hochbehälter im Linkenberg. Diese wäre im Falle der Sprengung beschädigt worden, und man befüchtete den Austritt von Wasser und die Verunreinigung des Trinkwassers und Seuchengefahr.
Der neue Oldendorfer Bürgermeister Ludwig Hilling (ab Anfang 1946) wies die Besatzungsmacht auf die Gefahren für die Zivilbevölkerung hin und es war ihm zu verdanken, dass die Sprengung mit Sicherheitsvorkehrungen erfolgte und die Trinkwasserleitung erhalten blieb. In weiten Teilen soll die frühere Benzinleitung noch heute im Erdboden liegen.

Artikel vom 04.01.2006