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Die Kolumne Stadtgespräch erscheint mittwochs in dieser Zeitung.

Stadt
Gespräch

40 Jahre am »Katzentisch« (153. Folge): Im »Erzengel« und der »Hölle«


Paderborn ist für Spötter eine »Stadt der Kirchen und Kneipen«. Wer im aktuellen Telefonbuch blättert, kann in sechs Spalten wählen zwischen dem »Gasthaus Tobias« und »Zur Sonne«. Die Zahl der Gaststätten wuchs mit der Bevölkerung. Vor 50 Jahren waren Hotels, Gasthöfe und Cafés noch überschaubar: 18 Beherbungsbetriebe, 60 Gaststätten und 20 Cafés führte das Verzeichnis des Verkehrsvereins auf.
Erste Adresse war seinerzeit der »Westfälische Hof« neben der Post mit 31 Betten. Pro Nacht und Bett waren hier fünf bis sieben Mark zu entrichten, 2,25 Mark für das Frühstück. Die preiswertesten Unterkünfte 1955: Gasthof Willingmann, Behrenteich mit 2,50 Mark pro Nacht und einem Frühstück für 1,50 Mark, sowie mit 3,50 Mark je Bett bei Bobbert, Grube; Cherusker Hof am Detmolder Tor, Zur Mühle, Mühlenstraße; Isenbort, Elsener Straße; Weißer Hirsch, Königstraße; und Wegener, Borchener Straße.
27 Hotels werden jetzt im Statistischen Jahrbuch mit 1187 Betten angegeben. Rechnerisch kommt es zu einer Auslastung von 42,9 Prozent. Die Verweildauer ist seit zehn Jahren konstant: 1,9 Nächte. Die 100 Hotels und Gasthöfe mit 2610 Betten im gesamten Kreis erreichen 3,4 Nächte. Dank Bad Lippspringe und Bad Wünnenberg.
Es waren die wackeren Leute in der Zeitungstechnik und auch meine Kollegen gewohnt, per Telefon zu erfahren, wo ich - dienstlich! - zu erreichen war. Aus der Familie kamen solche Hinweise: »Der ist heute Abend in der Hölle. Oder: »Im Erzengel«, beim »Faulen Sack«, in der »Tränendiele« sowie in »Schmandts Kläppchen«. Gemeint waren Unterhalt an der Heiersstraße, jetziger »Weinkrüger«, »Zur Mühle«, eine Gaststätte in der Giersstraße und der »Beichtstuhl« bei Schmandt am Rathaus gegenüber. Die gastliche Stätte »Zum Ölberg« gibt es heute noch nahe der Kapuzinerkirche. In der Franziskanergasse hat der Wirt den Titel dieser seit elf Jahren veröffentlichen Kolumne übernommen: »Stadtgespräch«.
Die älteren Paderborner erinnern sich gern an manchen Gastwirt in seiner Nachrichten- und Klatschbörse: Bernhard Bolzau, Lenschen Paul, Zigarrenraucherin Thette Wiemuth, Köllings Bernhard, Lönnings Karl, Rudolf Schlink, Georg Otto (»Rotbuche« gegenüber dem Bahnhof), Heinrich Werdite (»Schinkenbäcker«), Willy Haase Turnplatz. Im Verzeichnis der 60 Paderborner Schankbetriebe vor 50 Jahren fällt auf: »Alkoholfreie Gaststätte Arthur Kiepe, Franziskanergasse 12».
Samstags wurde bei der Eisenbahn in den Werkstätten an der Wollmarktstraße der Wochenlohn ausgezahlt, bar in einer Papiertüte. Es war ungeschriebenes Gesetz, dass die Eisenbahner die Münzen gleich nach Feierabend in Wochenend-Bier (20 Pfenning das Glas) umsetzen durften. Im »Weißen Rössel« und bei »Lengeling«, vor und hinter der Schranke!
20 Cafés gab es 1955 in der Paderstadt. Zünkler am Marienplatz, Menge in der Westernstraße, Favretti, Wiethaupt am Neuhäuser Tor, Café Vaterland im Kötterhagen, Wiemuth und Karl Kran waren die bekanntesten. Alkoholfrei ging es bei Habrock in der Rosenstraße und Josef Claes auf dem Kamp zu.
Eine Paderborner Kneipen-Geschichte wurde vor 25 Jahre in ganz Deutschland belacht. Im Restaurant »Zur Mühle« gab es gleich neben der Eingangstür ein Bassin mit lebenden Hummern. Ein durch Alkoholgenuss mutig gewordener Gast holte eines der Zangentiere heraus und ließ es krabbelnd die Fahrbahn der Mühlenstraße überqueren. Im Wasserbehälter ging das Tier bald ein und mit ihm alle übrigen Hummer.
Vor Gericht wurde entschieden: der übermütige Gast muss für den gesamten Schaden aufkommen. Begründung: Der gepanzerte Schalen- und Zangenträger hatte während seiner kurzen Freiheit gefährlichen Kisau-Straßenstaub geschluckt und damit alle Riesenkrabben im Bassin infiziert! Georg Vockel

Artikel vom 04.01.2006