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»Idiotentest« auf dem Prüfstand

Kreis erkennt tschechischen Führerschein nicht an und verlangt MPU

Von Hubertus Hartmann
Paderborn (WV). Jörg Gerken hat einen gültigen Führerschein. Damit darf er in ganz Europa fahren - nur in Deutschland nicht. Dafür müsste er sich erst einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU) unterziehen und bestehen. Weil der 31-Jährige den »Idiotentest« aber verweigert, hat der Kreis Paderborn gegen ihn ein Fahrverbot verhängt.

Zu Unrecht, ist der Paderborner Rechtsanwalt Benedikt Klein überzeugt. Er hat beim Verwaltungsgericht Minden Klage erhoben. »Ich bin der Auffassung, dass diese Untersagung nicht europarechtskonform ist«, erklärt Klein.
Jörg Gerken hat, so räumt er freimütig ein, »früher allerhand Mist gebaut«. Unter anderem ist er Auto gefahren, ohne überhaupt einen Führerschein zu besitzen. 1997 wurde er zweimal von der Polizei erwischt, verurteilt und mit einem Jahr Sperre belegt.
»1997 habe ich geheiratet und ein neues Leben begonnen«, erzählt der gelernte Dachdecker. Doch die Vergangenheit holte ihn wieder ein. 2002 bot sein Chef ihm an, auf Firmenkosten den Führerschein zu machen. Kurz vor der Prüfung bekam Gerken ein Schreiben vom Straßenverkehrsamt. Darin wurde er aufgefordert, zur MPU zu erscheinen. »Das habe ich nicht eingesehen«, wehrt sich Gerken gegen die vermeintliche Behördenwillkür. »Ich habe keine Drogen genommen und hatte noch nie Probleme mit Alkohol.« Weil er sich nicht durch die psychologische Mangel drehen lassen wollte, verzichtete der Vater eines Sohnes auf die Fahrerlaubnis.
Dass es ohne »Schein« aber nicht geht, merkte er spätestens, als er sich 2004 mit einer Firma für Industriemontage selbstständig machte. »Wir demontieren Maschinen bei insolventen Unternehmen und bauen sie anderswo wieder auf«, berichtet Gerken. Seine drei Mitarbeiter und er sind beruflich in ganz Europa unterwegs.
Weil andere Länder der Europäischen Union die deutsche MPU nicht kennen, machte der Paderborner im Februar vergangenen Jahres den EU-Führerschein der Klasse B im tschechischen Decin. Dass diese Fahrerlaubnis in Deutschland jedoch wenig wert ist, erfuhr Gerken, als er etwas schnell unterwegs war und bei Stukenbrock geblitzt wurde. Prompt erhielt er eine Anzeige wegen Schwarzfahrens, und der Kreis Paderborn verlangte die Herausgabe des tschechischen Dokuments. »Dazu ist der Kreis gar nicht berechtigt, sondern nur die ausstellende Behörde«, verweist Anwalt Klein auf geltendes EU-Recht. Die Staatsanwaltschaft habe das Strafverfahren auch eingestellt.
Gleichwohl verhängte das Straßenverkehrsamt Paderborn unverzüglich ein Fahrverbot. Gerkens Widerspruch gegen die sofortige Vollziehung wies das Verwaltungsgericht Minden am 21. Dezember zurück. »Normalerweise verlangen Behörden die MPU nur bei Drogen- oder Alkoholmissbrauch«, meint Klein. Aber man könne seinen Mandanten doch nicht mit einem Straftäter gleichsetzen.
Das sieht der Kreis Paderborn anders. Auch bei »erheblichen oder wiederholten verkehrsrechtlichen Verstößen oder Straftaten im Zusammenhang mit einem Kraftfahrzeug« könne die MPU verlangt werden, betont Kreissprecherin Michaela Pitz. »Es gibt da sicherlich einen Ermessensspielraum, doch die Tatsache, dass Herr Gerken zweimal ohne Führerschein gefahren ist, berechtigt uns, seine charakterliche Eignung zu überprüfen.«
Sollte das Verwaltungsgericht in der Hauptsache nicht anders entscheiden, muss Jörg Gerkens in Deutschland Fahrabstinenz üben. Erst wenn der Firmenlaster die Staatsgrenze überquert hat, darf der Chef auch wieder selbst ans Steuer.

Artikel vom 06.01.2006