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Meister zimmert für Gotteslohn

Der Kreis Paderborn untersagt Michael Reimann die Gewerbeausübung

Von Hubertus Hartmann
Borchen (WV). Gut zwei Wochen, meint Michael Reimann, würden sie wohl noch zu tun haben. Gemeinsam mit dem Gesellen Paul Rempel (31) hockt der 43-jährige Zimmermeister aus Borchen auf einem Dach in Bielefeld-Jöllenbeck und zimmert an einem abgebrannten Dachstuhl. Für ihre Arbeit in der Kälte bekommen die beiden keinen Cent. Und wenn sie fertig sind, wartet auf sie die Arbeitslosigkeit.

Der Kreis Paderborn hat Reimann nämlich zum Jahresende die Gewerbeausübung untersagt und damit die Akte eines zwölf Jahre alten, »ohne Ende verworrenen Verfahrens«, wie Reimanns Rechtsanwalt Walter Schäfers es nennt, (wahrscheinlich) endgültig geschlossen.
1983 hatte Michael Reimann sich selbstständig gemacht und zwischenzeitlich bis zu 14 Mitarbeiter beschäftigt. Als mehrere Großkunden ihre Rechnungen nicht bezahlten, musste er 1993 Konkurs anmelden. Als Angestellter in einer neuen Firma, die auf den Namen seiner Mutter lief, versuchte er wieder auf die Beine zu kommen. Nachdem Reimann vor zwei Jahren auch noch die Meisterprüfung ablegte, schien dem beruflichen Neuanfang nichts mehr im Wege zu stehen. »Aber ich habe anderen Betrieben Konkurrenz gemacht und mich mit der Innung angelegt, das war tödlich«, vermutet der 43-Jährige ein gezieltes Intrigenspiel.
Nur wenige Tage nach der Meisterprüfung sei seine Firma durchsucht worden, der Kreis habe ihm wegen angeblich illegaler Gewerbeausübung - Handwerkstätigkeit ohne Meistertitel - ein Bußgeld von 82 000 Euro aufgebrummt und ein Gewerbeverbot erlassen. »Bis heute habe ich nicht alle Akten zurück, und der beschlagnahmte Computer wurde irreparabel beschädigt«, erhebt Reimann Vorwürfe gegen die Behörde.
Gleichwohl räumte der Kreis dem Unternehmer eine weitere Chance ein. Im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung vom 30. November 2004 durfte der Borchener weiter das Zimmerhandwerk ausüben. Aber diese Erlaubnis war an Bedingungen geknüpft: In erster Linie musste ein Privatinsolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren erfolgreich beendet werden.
Die ihm zugewiesene Insolvenzverwalterin, die eng mit der Innung zusammen arbeite, habe ihm jedoch fehlende Kooperationsbereitschaft sowie Verschleierung seiner wahren Einkommensverhältnisse vorgeworfen und das Verfahren boykottiert. »Sie hat massiv gegen meine Selbstständigkeit gearbeitet«, ist Reimann überzeugt. Die Restschuldbefreiung scheiterte. Eine verspätete Abführung von Krankenkassenbeiträgen kam hinzu, ein Lieferant stellte weitere Forderungen.
»Wir hatten keine andere Wahl und waren zum Handeln gezwungen«, begründet Kreissprecherin Michaela Pitz das erneute Gewerbeverbot. Der Kreis habe Herrn Reimann wirklich »goldene Brücken gebaut«, man müsse aber auch die Interessen der öffentlich rechtlichen Gläubiger vertreten.
Michael Reimann hat nach eigenen Angaben im Laufe der Jahre zwar rund 60 000 Euro getilgt, aber immer noch Schulden in Höhe von 233 000 Euro, davon allein mehr als 122 000 Euro beim Finanzamt. »Er hat sich wirklich in vielfältiger Weise bemüht, seine - auch gewerbliche - Zuverlässigkeit unter Beweis zu stellen«, bescheinigt Rechtsanwalt Schäfers dem glücklosen Zimmermeister.
Reimann selbst kann einfach nicht verstehen, dass er trotz aller Bemühungen jetzt mit einem Berufsverbot belegt wird und sechs Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren.
Den Weihnachten abgebrannten Dachstuhl in Bielefeld wollen er und sein Geselle für ihren alten Kunden trotzdem kostenlos wieder herrichten. »Eine Rechnung darf ich ja nicht mehr schreiben«, sagt Reimann. Nur das Material muss der Bauherr selbst kaufen.
»Vielleicht«, so hofft der Meister aus Borchen, »haben die Behörden ja doch noch ein Einsehen, denn wir haben bis Mai Aufträge über 128 000 Euro.«

Artikel vom 31.12.2005