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Vater stoppte Trecker mit »Brrr«

August Gievers und Klaus Wessler restaurierten alten Normag-Zorge

Von August Wilhelm
Borgholz (WB). Erinnerungen an seine Jugendzeit wurden in August Gievers wach, als er nach fünf Jahrzehnten seinen alten Trecker, einen Normag-Zorge, wieder auf dem Hof hatte. Gemeinsam mit Klaus Wessler hat der Vorsitzende des Vereins »Die Dreschflegel« dem alten Traktor, der nun im »Museum Dorfgeschichte« zu sehen ist, neues Leben eingehaucht.
Fertig! Zweieinhalb Monate waren die beiden Natinger Klaus Wessler und August Gievers (r.) vom Verein der Freunde alter Landmaschinen und Traktoren »Die Dreschflegel« damit beschäftigt, den alten Normag-Traktor wieder funktionstüchtig zu machen. Mit dem Aufsetzen der Motorhaube fand die umfassende Restaurierung des 52 Jahre alten Fahrzeugs ihren Abschluss. Sogar das Radio im selbst gemachten Holzgehäuse gehört wie damals zur Ausstattung des Treckers. Fotos: August Wilhelms

»Schon nach meiner Schulentlassung mit 14 Jahren war mir klar, dass unserer landwirtschaftliche Betrieb einen Traktor braucht. Mein Vater Johannes Gievers war da allerdings anderer Meinung«, erinnert sich August Gievers. Nach seiner einjährigen Fremdlehre auf einem landwirtschaftlichen Betrieb in Münster, wo es bereits einen Trecker gab, konnte er seinen Vater aber von der Notwendigkeit dieser »neuzeitlichen Errungenschaft« überzeugen.
Prospekte von Traktoren hatte er schon im Alter von zwölf Jahren gesammelt. Vertreter von Normag, Deutz und Lanz besuchten den Hof dann jede Woche. Mit dem Landmaschinenhändler Uffelmann und Simon aus Borgentreich und mit seinem Vertreter Franz Heinemann wurde ein Kaufvertrag für einen Normag-Zorge, Faktor II, mit 20 PS abgeschlossen. Die Lieferzeit sollte laut Vertrag ein halbes Jahr dauern. »Oft war ich in Borgentreich, um nach dem Auslieferungstermin zu fragen. Dabei lernte ich die beiden Borgentreicher Mechaniker Josef Stüwe und Franz Arendes kennen, die bei mir das Interesse am Beruf des Kraftfahrzeugmechanikers weckten«, berichtet August Gievers.
Die Traktoren wurden seinerzeit noch »per Achse« aus der Fabrik bei Hattingen geholt. So fuhr Josef Stüwe damals mit einem Lehrling in das Werk. Im Gepäck hatten die beiden vier Abschleppstangen, die von der Firma Uffelmann und Simon für den führerlosen Abschlepptransport entwickelt worden waren. Mit diesen Abschleppstangen konnte man bis zu fünf Traktoren von Hattingen bis nach Borgentreich schleppen: Josef Stüwe saß auf dem ziehenden Traktor, der Lehrling auf dem letzten. 22 Meter maß der Konvoi. Später war dieser Transport nur noch bis zu einer Länge von 18 Metern erlaubt.
Der Lehrling hatte die Aufgabe, den ungewöhnlichen Zug gestreckt zu halten und bergauf zu schieben. Ohne Verdeck bei Wind und Wetter, mit Regenwasser in den Schuhen, kamen die beiden durchnässt in Borgentreich an. Dort warteten schon die Landwirte auf ihre bestellten Traktoren.
Josef Stüwe erinnerte sich, dass er einmal mit fünf Treckern in Borgentreich auf dem Firmenhof ankam, aber sechs Landwirte ihre Fahrzeuge abholen wollten. Das Verteilen wurde zu einem Problem, da auch ein Vorgehen nach dem Bestelldatum nicht möglich war, denn alle hatten am gleichen Tag ihren Kaufvertrag unterschrieben.
Der Mechaniker musste die Traktoren auf den Höfen der Landwirte ausliefern und die Bauern mit der Wartung, Pflege und dem Gebrauch der Schlepper vertraut machen. Das konnte von Fall zu Fall schon einen ganzen Tag oder länger dauern.
»Unser Traktor Normag mit Raspe-Mähwerk wurde uns im August 1953 zum Kaufpreis von 6200 Mark geliefert«, erinnert sich August Gievers: »An- und Ausspannzeiten der Pferde bestimmten nun nicht mehr den Tagesablauf, denn der Traktor arbeitete Tag und Nacht, ohne müde zu werden«
Vater Gievers war aber immer noch nicht begeistert von der neuen Errungenschaft, dem Normag-Zorge. Sein Sprichwort lautete: Hast bis jetzt du keine Sorgen, kauf dir einen Normag-Zorgen. »Meine Vater hatte jedes Mal Tränen in den Augen, wenn ein Pferd den Hof verließ. So blieben nach einigen Jahren von unseren sieben Pferden nur noch zwei übrig, die noch für die Saategge und die Drillmaschine gebraucht wurden. Auch für die sonntägliche Kutschfahrt der Familie zur Kirche wurden die Pferde angespannt«, berichtet der Natinger.
Die vorhandenen Bodenbearbeitungsgeräte wurden für den Schlepperzug umgebaut. »Nach sechs Monaten war auch mein Vater mit der neuen Technik vertraut und sagte nicht mehr ÝBrrr«, wenn der Traktor anhalten sollte«, schmunzelt August Gievers, der 1958 bei der Bundeswehr den Gesellenbrief als Kraftfahrzeugmechaniker erwarb und später mit seiner Frau eine Fahrschule führte.
Als Rentner machte er sich per Internet auf die Suche nach einem Normag-Traktor, der so eng mit seinen Jugenderinnerungen verbunden ist. In Freiburg wurde er 2003 fündig und konnte einen typgleichen Traktor nach Borgholz zurückholen.
Inzwischen ist der alte Trecker von den beiden Natingern August Gievers und Klaus Wessler renoviert worden. Er ist jetzt wieder funktionstüchtig und im Museum »Dorfgeschichte« zu sehen.
Dort steht er in der Reihe von Traktoren, die in Borgholz die Pferde abgelöst haben: neben dem Deutz von Theo Temme, dem Güldner von August Graute, dem Fendt-Dieselroß von Wilhelm Redeker und dem Lanz von Gustav Gievers.
August Gievers hatte übrigens als wahrscheinlich erster Landwirt im Altkreis Warburg ein Autoradio in einem gepolsterten Kasten auf dem Normag untergebracht. Seine Zeitgenossen kommentierten dies zumeist mit einem Kopfschütteln, aber heute weiß man, dass er damit seiner Zeit voraus war.

Artikel vom 04.01.2006