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Ein wichtiges »Rädchen im
großen Medizin-Apparat«

Letzter Arbeitstag für Dr. Peter Ernst als Leitender Arzt

Von Klaus-Peter Schillig
(Text und Foto)
Halle (WB). Eigentlich hat er schon Urlaub und könnte ihn schon als Vorboten seines Ruhestandes genießen. Aber Dr. Peter Ernst kommt immer noch jeden Tag in sein Büro. Sortieren und Aufräumen ist angesagt, bevor der Leitende Arzt des Klinikums Ravensberg am Jahresende endgültig seinen Schreibtisch räumt.

26 Jahre und vier Monate war der Sohn eines nordhessischen Landarztes Chef der Inneren Abteilung. Er hat dabei umgesetzt, was er sich schon am Beginn seiner Karriere vorgenommen hatte: auch in leitender Position immer im engen Kontakt mit dem Patienten zu bleiben. Ein Vorhaben, dass so nur an einem kleinen Krankenhaus der Grundversorgung umzusetzen ist. Und wo er alles andere erlebt hat, als die anfangs von einem Spenger Kollegen angekündigte westfälische Zurückhaltung bei Dankesbekundungen. Weil er sich Vertrauen und Zuneigung erworben habe, blickt Dr. Ernst zurück, habe er viele Menschen über Jahre hinweg begleitet, die sich als sehr dankbar und anhänglich erwiesen hätten.
Die Jahre in Halle, sie waren begleitet von vielen Erfolgserlebnissen, vom Kampf gegen schwere Krankheiten. Er habe viele Familien kennen gelernt, habe viele Stationen miterlebt, aber natürlich auch tragische Dinge erlebt. Er erinnert sich an unheilbare Kranke, an sterbende Menschen, aber auch an die, denen er wieder zu einem normalen Leben verholfen habe, die vielleicht schon seit Jahren mit einem implantierten Herzen leben oder die Jahrzehnte nach einem Infarkt wieder wohlauf sind. Da, sinniert der 63-Jährige, ist man auch in einem kleinen Krankenhaus ein wichtiges Rädchen im großen medizinischen Apparat.
Kein Wunder also, dass Dr. Ernst, wenn er mit dem Fahrrad oder zu Fuß in Halle unterwegs ist, wenn er einkauft, immer wieder angesprochen wird. Und auch er selbst geht offen auf ehemalige Patienten zu, fragt nach dem Befinden (»Gibt der Bauch jetzt Ruhe?«). Medizin zwischen Brötchen und Croissants. Deshalb wohl auch ist ein bisschen Wehmut dabei beim Aufräumen, beim Entsorgen alter Bücher und Prüfen angegrauter Röntgenbilder.
Alles hat irgendwie mit Medizin zu tun in dem Büro im Erdgeschoss, die dicken Wälzer, die Unterlagen oder Broschüren. Dr. Peter Ernst denkt deshalb ernsthaft daran, noch einmal ein Seniorenstudium anzufangen - für die Allgemeinbildung. Er brauche die Zufriedenheit, etwas geleistet zu haben und geistig gefordert zu sein, bekennt er. Deshalb hat er sich auch schon für einen Computer-Kurs bei der Volkshochschule abgemeldet. Und dann kommt natürlich all das ausgiebiger zum Zuge, was in der bisher knappen Freizeit oft zu kurz gekommen ist: Tennis, Radfahren, Tanzen, die sechs Enkel, das Ferienhaus in Italien, Kochen für Familie und Freunde, vielleicht auch das vor vielen Jahren aufgegebene Klavierspielen.

Artikel vom 30.12.2005