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Psychisch Kranker hörte Stimmen

»Nimm die Axt und schlag ihm den Schädel ein« - Fall vor dem Gericht

Von Hubertus Hartmann
Kreis Paderborn (WV). Harald R. konnte dieses Weihnachtsfest eigentlich doppelt feiern. Der 54-Jährige überlebte drei Axthiebe auf den Kopf ohne bleibende Folgen. »Da hat der Schutzengel Schwerstarbeit geleistet«, kommentierte Oberstaatsanwalt Günter Krüssmann treffend.

Das Paderborner Schwurgericht verhandelte jetzt jenes Familiendrama, das Harald R. beinahe das Leben gekostet und Udo R. (39) um ein Haar zum Brudermörder gemacht hätte.
Dabei ist Udo R. von Natur aus ein friedfertiger Mensch. Der Warsteiner Psychiater Dr. Ewald Rahn charakterisiert ihn als »eher ängstlich, schüchtern und zurückhaltend«. In Wewelsburg hatte der Techniker vor fünf Jahren ein Haus gekauft, das er mit seinem Bruder und seiner Schwägerin (51) bewohnt.
»Wir sind eigentlich immer gut miteinander ausgekommen«, versichert der Ältere.
Die Veränderung von Udo R. begann schleichend. Ohne wirklichen Grund hatte er im April schon einmal seinen Bruder mit der Axt bedroht. Nach einem vierwöchigen Aufenthalt in der Psychiatrie schien er geheilt. Aber dann setzte Udo R. eigenmächtig seine Medikamente ab.
Und da waren immer wieder diese Stimmen. Er hörte sie tagsüber und in der Nacht. Sie raubten ihm den Schlaf und suggerierten ihm Böses: Die Mafia wolle ihn und auch seine in Thüringen lebenden Eltern töten, und sein Bruder gehöre auch zu den Verschwörern. »Nimm die Axt und schlag ihm den Schädel ein«, hätten die Stimmen ihm befohlen, schilderte der Angeklagte seine Wahrnehmungen.
An einem sonnigen Nachmittag im August folgte er den Eingebungen. Richter Bernd Emminghaus sprach von einem »massiven Gewaltausbruch«. Die Attacke traf den im Gartenhaus sitzenden Bruder völlig ahnungslos. Drei Schläge mit der scharfen Seite des Beils fügten ihm schwerste Verletzungen zu. Weitere Hiebe konnte er abwehren, der Ehefrau gelang es schließlich, ihrem Schwager das todbringende Mordinstrument zu entwinden.
In einer Notoperation retten die Ärzte das Leben des schwer verletzten Harald R. - er hat seinem Bruder vergeben.
»Heute weiß ich, dass das alles Unsinn war, die Stimmen sind weg«, sagte der Täter vor Gericht.
Der Psychiater bezeichnete die Krankheit als »halluzinatorische Psychose«. Der Angeklagte habe die Stimmen als bedrohlich empfunden, »er war weder einsichts- noch steuerungsfähig«.
Das Gericht wies Udo R. in ein psychiatrisches Krankenhaus ein. Die Chancen, dass er in nicht gar zu ferner Zukunft als geheilt entlassen wird, sind nach Einschätzung Dr. Rahns sehr gut. Ohne Therapie seien erneute schwerwiegende Straftaten allerdings nicht auszuschließen.

Artikel vom 28.12.2005