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Zum Weihnachtsfest

Von Pfarrer Dr.Dr. Markus Jacobs


Gehören Sie zu denen, die beim Singen des „Stille Nacht, heilige Nacht“ in der Kirche ganz eigentümlich ergriffen werden? Verspüren Sie, wenn die Orgel und die Stimmen zum „Oh, du fröhliche“ sich aufschwingen, ein bestimmtes Gefühl im Rücken hochsteigen? Vielleicht sind sie gar eine von den Frauen oder einer von den Männern, die das ganze Jahr nicht singen - wohl aber an Heilig Abend in der Kirche oder vor der Krippe zu Hause?
Wie kommt es eigentlich, dass ausgerechnet Weihnachten Singen auslöst? Wieso holen viele Jugendliche und Erwachsene gerade zu Weihnachten ihre alte Flöte oder andere Instrumente hervor, wenn sie es das ganze Jahr sonst nicht schaffen? Vermutlich ist Weihnachten weltweit das Fest mit den meisten Liedern überhaupt! Und gemeint sind damit nicht nur „alte“ Lieder, denn es ist gerade in den letzten Jahren auch eine riesige Welle von modernen Weihnachtsliedern entstanden. Es gibt kein anderes Fest im Jahr, zu dem so viele aktuelle Künstler der klassischen oder der Popkultur jeweils ihre Sonderausgabe herausbringen. Wie kommt es zu einer solchen Ballung von Musik zu Weihnachten?
Vielleicht liegt es daran, dass Gott mit der Menschwerdung einen ganz besonderen Nerv in uns Menschen getroffen hat. Er hat in uns eine Gefühl von Freude und Zufriedenheit ausgelöst, das wie von selbst ein Lied auf die Lippen treibt. Denn wir summen ja auch sonst ab und zu, wenn wir gerade sehr gut gelaunt sind. Das Kind in der Krippe, die Nähe Gottes, bewirkt offensichtlich diese Empfindung weltweit fast gleichzeitig.
Mit Musik können wir Menschen das berührt Werden am Herzen besonders gut ausdrücken. Gott hat in diesem Liebesgeschenk seiner Gegenwart unser Herz erreicht. Und zum Thema Liebe werden seit Menschengedenken insbesondere Lieder verfasst. Denn zum Thema Liebe kann man recht schlecht argumentieren. Begründungen dazu sind entweder unmöglich, oder sehr schnell beendet. Erklären Sie mal jemandem, warum ein bestimmter Mensch sie möglicherweise liebt. Das geht fast nicht. Und deshalb kann man zu Weihnachten eigentlich nur ziemlich schlecht Vorträge halten - aber man kann Weihnachten besingen.
Wenn wir jetzt noch einmal in die Bibel schauen, dann können wir feststellen, dass dieselbe Reaktion auch schon direkt in der Geburtserzählung Jesu festgehalten worden ist. Denn es heißt dort: „Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach: Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erden ist FriedeƉ“ Lk 2,13f Gesang über den Feldern von Bethlehem war schon das einzige, was die Engel hinzutun konnten - Lob Gottes eben.
Weihnachten ist das Geschenk göttlicher Gegenwart unter uns. Es ist ein Geschenk Gottes - einfach nur, weil er uns liebt. Er wählt die Gestalt eines Kindes, und wir beantworten diese erste Hilflosigkeit Gottes unter uns ebenso mit Ausdrucksformen der Liebe. Eine der schönsten davon ist die Musik, sind die Lieder. Und ich kann es mir nicht anders vorstellen, als dass - menschlich gesprochen - Gott sich freut, dass auf dem Weg über die Lieder und die anderen sehr warmherzigen Ausdrucksformen des Weihnachtsfestes diese christliche Botschaft auch in den unchristlichsten Gegenden unserer Welt Einzug gehalten hat. Wir Menschen mögen Grenzen zwischen Religionen aufbauen und die Mauern zwischen den Gläubigen immer wieder nachzementieren. Gott selbst hat mit seiner Weihnachtsbotschaft in menschlicher Gestalt diese Grenzen schon lange unterlaufen.
Denn an Weihnachten herrscht tatsächlich mehr Friede als zu jeder anderen Zeit im Jahr, es wird mehr Freude geschenkt als je sonst. Und Menschen, die Texte aus solchen Liedern wie den weihnachtlichen auf den Lippen haben, die können nicht so leicht im selben Moment ihr Herz gegen die anderen und Gott verhärten.

Artikel vom 24.12.2005