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Weihnachten 1945 - ein Friedensfest

Tränen der Dankbarkeit und eine hell erleuchtete Kirche: Elly Barteldrees blickt zurück

Von Annemarie Bluhm-Weinhold
Steinhagen-Brockhagen (WB). Weihnachten 1945 - das erste Weihnachtsfest im Frieden. Wohl allen, die damals lebten, bleibt es unvergesslich. »Endlich ist dieser schreckliche Krieg zu Ende«, sagt Elly Barteldrees.

Die heute 81-Jährige gebürtige Vennorterin hat ihre Erinnerungen zum Teil im Frühjahr bei der Ausstellung im Rathaus zum 60. Jahrestag des Weltkriegsendes geschildert, auch schreibt sie auf Plattdeutsch in ihrem vergriffenen Buch »Bi us to Hus« über dieses ganz besondere Weihnachtsfest, das ihr und ihrer Familie nicht nur aus Dankbarkeit und Rührung die Tränen in die Augen trieb.
Endlich Frieden: Doch die Zeiten bleiben düster. »Das Christkind ist das einzige Licht damals«, berichtet die in Künsebeck lebende Brockhagenerin. So viele Jahre hat man Weihnachten in Sorge um die Lieben verbracht, einzig in der Hoffnung, dass das Christkind doch noch Frieden in die Welt tragen würde. Und das hat es - scheintÕs getan: »Wir können wieder in Ruhe in der Kirche sitzen, und die Welt ist voller Licht.« Elly Barteldrees' Tante Emma Hinzmann aus dem Ruhrgebiet treibt dieser Gedanke zu Tränen - so überwältigt ist sie. Die Verwandtschaft aus Bochum verbringt die Feiertage auf dem Hof Jürgen in Vennort, dem elterlichen Hof von Elly Barteldrees. Dort lebt bereits seit einiger Zeit ihr Sohn Otto in Sicherheit vor den Bombenangriffen der letzten Kriegsjahre. »Er war wie mein kleiner Bruder«, sagt Elly Barteldrees, damals 21 Jahre alt.
Bereits zeitig im Herbst hatten sich Tante Emma und Onkel Otto in Vennort angesagt. Das ließ Ellys Mutter hinreichend Zeit für die Organisation des Festes. Denn auch auf landwirtschaftlichen Anwesen war die Beschaffung von Weihnachtsbraten und Gebäck durchaus nicht leicht.
Schon die Adventszeit sei etwas Besonderes gewesen: Wenn sie von der Arbeit nach Haus gekommen sei - Elly war Industriekauffrau in Steinhagen -, dann habe es im ganzen Haus nach Spekulatius geduftet. »Mudder dei würklich iär Bestes, us, wat Iäten un Drinken angeht, hÕrichtiget Friedenswiehnachten to beschern«, schildert die Künsebeckerin. Vater Jürgen war für den Tannenbaum zuständig. Und beide Eltern hatten sogar Geschenke besorgt, auch wenn die 81-Jährige nicht mehr weiß, was damals auf dem Gabentisch lag.
Das war wohl auch eher nebensächlich. Denn viel zu groß war die Freude über die Verwandtschaft, die sich nach endloser Reise und bangem Warten um viele Stunden verspätet bei strömendem Regen in der Nacht zum Heiligen Abend doch noch auf dem Vennorter Hof einfand. »Reisen war ja damals nicht so einfach. Autos fuhren nicht, und die wenigen Züge waren unzuverlässig und hoffnungslos überfüllt«, erinnert sich Elly Barteldrees. Emma und Otto Hinzmann waren mit Tochter Emmi zu Fuß vom Gütersloher Bahnhof bis nach Brockhagen gelaufen.
Der Heilige Abend kam und mit ihm der gemeinsame Kirchgang: »Die Kerzen am Baum leuchteten hell durch die Kirchentür« - ein besonderer Lichtblick nach sechs Jahren Krieg. Cousin Otto, damals zwölf, und weitere Kinder führten zunächst in der Kirche, später auch im Sandforther Altenheim, ein Krippenspiel auf. Und »Schwester« Elly musste Geige spielen: »Unfreiwillig. Nur weil sich Otto zu weit aus dem Fenster gelehnt und dem Pastor erzählt hatte, ich könnte Geige spielen«, erzählt die 81-Jährige.
Unvergesslich der Abend daheim auf dem Hof in Sandforth, der die JürgenÕsche Festgesellschaft zu Tränen rührte. Wie gesagt: Das lag nicht nur daran, dass man so überwältigt vom Frieden in der Welt und den leiblichen Genüssen wie Weihnachtsgans und Schokolade war, sondern schlicht auch an Cousin Ottos selbstgezogenen Kerzen. Die qualmten gar fürchterlich . . .

Artikel vom 27.12.2005