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Geschenk des Lichts erhellt Dunkelheit

Der blinde Kantor Ernst-Friedrich Berning möchte an Weihnachten Hoffnung verbreiten

Von Sandra Knefel
Dielingen/Haldem (WB). Wer Ernst-Friedrich Berning begegnet, nimmt wohl zunächst die Lebensfreude wahr, die aus ihm strahlt. Dieses innere Licht lässt Funken überspringen auf jeden, der ihm gegenübertritt.


Woher dieses Leuchten kommt, versteht man gleich, wenn er zu erzählen beginnt. Sein ganzes Gesicht lacht, wenn er von seinem Leben berichtet. Ein Leben, das trotz eines »Schicksalsschlages« - aber so würde er das gar nicht bezeichnen - ein über alle Maßen erfülltes und zufriedenes ist.
Der Haldemer Ernst-Friedrich Berning ist seit 1963 Organist in Dielingen, seit zwölf Jahren ist er blind. Seine Musik macht den Menschen bis heute Freude. So wird er auch in diesem Jahr den Weihnachtsgottesdienst in der Dielinger Kirche an der Orgel begleiten.
Als es damals nach und nach dunkler wurde, fragte er sich oft, was sein wird, wenn er gar nichts mehr sehen kann. Eine der größten Sorgen: Was würde aus der Musik, die ihm so viel bedeutet? Würde er ohne Augenlicht die Musik aufgeben müssen? Er wusste, dass dies unmöglich sein würde. Denn Musik ist sein Leben: »Meine Liebe zur Musik ist mir in die Wiege gelegt worden; und was ich gesungen und gespielt habe, war mir immer als von Gott gegeben bewusst.« Der Glaube ist sein Lebensmittelpunkt, Glaube und Musik sind verschmolzen und erfüllen sein ganzes Wesen. Hier findet er Halt in schweren Stunden, hier liegt die Quelle für die Freude. So konnte er sagen: »Dennoch«, als die Erblindung fortschritt.
Er lernte das Auswendigspielen und begann, zu improvisieren. Er könne zwar die großen Meister nicht mehr spielen, dafür spiele er »Berning«, sagt er schmunzelnd. Hunderte von Improvisationen über Choräle und Volkslieder beherrscht er. Er könne die Freude nicht beschreiben, die ihn beim Spielen erfüllt: »Ich sehe die Tasten und die Töne vor mir.«
Die Musik sei ein Geschenk, Gott habe ihm das Amt des Musikers gegeben und das Vermögen, ohne Augenlicht zu spielen. »Gott allein die Ehre - unter diesem Gesichtspunkt spiele ich«, betont Berning, »Gott hat mich getragen, geleitet, bewahrt«.
Natürlich hat er sich am Anfang seiner Erblindung die »Warum«-Frage gestellt. Doch das Hadern mit dem Schicksal hielt nicht lange an. »Gott gibt uns Rätsel auf, die irdisch nicht fassbar sind«, so Berning. Er besann sich auf seine Lebensaufgabe. »Die Gabe der Musik und der Improvisation bringt Licht in meine Dunkelheit«, erzählt der pensionierte Lehrer, »es ist mir manchmal, als würde der Himmel sich öffnen«. Er möchte auch anderen Mut machen, die vom Schicksal getroffen sind. Hoffnung möchte er verbreiten, auf Menschen zugehen. Gerade zur Weihnachtszeit möchte er Hoffnung verschenken. »Zu Weihnachten steht das Licht im Mittelpunkt, und das kann auch einem Blinden leuchten«, sagt Berning.
Er versucht, dieses Licht weiter zu tragen. »Ich sehe die Menschen vor mir«, erklärt er. Er möchte sie erreichen und engagiert sich sehr für die Gemeinde, musiziert mit Schulkindern und Senioren und sitzt nach wie vor im Gottesdienst an der Orgel. »Die Beziehung zu den Menschen ist wichtig, sonst kann die Musik sie nie erreichen, nicht berühren«, so Berning. Er gewann die Erkenntnis, dass dies seine Lebensaufgabe ist: Die Menschen an dem von ihm erfahrenen Trost teilhaben lassen, Kraft und Hoffnung spenden, Mut machen: »Die Liebe, von der ich lebe, gibt sich liebend an andere weiter«. Die Betätigung in der Kirchengemeinde bedeute ihm viel, denn was nütze ihm sonst seine Gabe: »Für unseren Lebensinhalt ist es wichtig, dass wir gebraucht werden«. Unterstützung und Trost erfährt er auch durch seine Frau, seine Kinder und Enkelkinder.
Ernst-Friedrich Berning ist sich stets bewusst, dass nichts selbstverständlich ist. Er genießt jeden Augenblick intensiv und ist unendlich dankbar, dies zu können und zu dürfen. Er ist nicht traurig über Vergangenes oder Verlorenes, sondern freut sich am Heutigen. In jeder Situation bleibt viel Grund zum Danken.
»Ich vertraue auf Gott, der mich als Blinden führt. Durch die Behinderung hat mein Glaube neue Dimensionen erfahren, er ist lebendiger, persönlicher geworden«, erzählt er, »eine Behinderung kann zum Segen werden für einen selbst und andere«.

Artikel vom 24.12.2005