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Das Wort zum Sonntag

 Von Superintendent Dr. Rolf Becker, Lübbecke


Es gibt dunkle Stunden im Leben eines jeden Menschen: eine endgültige Trennung, die Feststellung einer unheilbaren Krankheit, der Verlust eines Freundes oder einer Freundin, eine scheinbar ausweglose Depression. . .
Auch in unserem Leben hat es in den letzten Monaten viele dunkle Stunden gegeben. Und damals in Betlehem war das wohl nicht anders. Dunkle Stunden für die junge Frau und den Mann. Kein Dach über dem Kopf, die Frau hochschwanger, dann die Geburt des Kindes in einem in den Felsen gehauenen Futtertrog in einer der Wohnhöhlen der Hirten von Bethlehem. Das waren rauhe und unberechenbare Burschen am Rande der damaligen Dorfgemeinschaft.
Und es wäre wohl dabei geblieben, bei dieser dunklen Stunde unter unzählbaren dunklen Stunden der Menschheitsgeschichte, wenn da nicht diese außergewöhnliche Sternenkonstellation gewesen wäre, die den Sterndeutern der Zeit offenbart hat, dass etwas Außergewöhnliches geschieht.
Doch, eine Sternstunde in Betlehem, in einem kleinen Dorf am Rande der damals bekannten Welt? Eine Sternstunde auf der Erde und f ü r die Erde, die ja selbst nur ein kleiner Stern im Sonnensystem ist ? Und das Sonnensystem - was ist das schon? Ein winziger Teil der Milchstraße.
Und die Milchstraße, immerhin umfasst sie mehr als hundert Milliarden Sterne, ist für die Astronomen nur ein unbedeutendes Mitglied des lokalen »Galaxiensuperhaufens«, der wiederum nur einen winzigen Teil des bekannten Universums bildet.
Und da soll vor etwa zweitausend Jahren in Betlehem eine Sternstunde der Welt geschlagen haben?
Von zwei Studentinnen bekam ich vor Jahren einen Zettel mit vielen Zahlen überreicht. Überschrieben waren die Zahlen mit dem Satz: »Die unvermutete Kraft des Kleinen«. Die beiden hatten sich über die Redensart geärgert, eine Sache habe n u r die Bedeutung eines »Tropfens im Ozean« und sei daher unbedeutend.
Die Studentinnen hatten hingegen herausgefunden: Will man die Zahl der Kubikmeter Wasser aller Meere dieser Erde auf ein Blatt Papier schreiben, dann muss man eine »1« mit neunzehn Nullen hinschreiben, zehn Trillionen, eine unvorstellbar große Zahl.
Weiterhin hatten die Studentinnen ausgerechnet, wie sich das Volumen (der Rauminhalt) eines Wassertropfens zum Gesamtvolumen aller Meere dieser Erde verhält. Resultat: Ein Tropfen Wasser ist, im Vergleich zum Umfang der Weltmeere, tatsächlich verschwindend klein. Gebe ich einen Tropfen Wasser in den Ozean, geht er darin unter. Aber die Studentinnen hatten weiter gerechnet und etwas ganz Erstaunliches herausbekommen: Ein Tropfen Wasser setzt sich ja aus kleinsten chemischen Bausteinen zusammen, den sogenannten »Molekülen«. Wollte man die Anzahl der Moleküle, die in einem Tropfen Wasser sind, als Zahl aufschreiben, müsste man eine »1« mit einundzwanzig Nullen schreiben, eine Trilliarde. Die Zahl der Moleküle in einem Tropfen Wasser ist damit hundertmal größer als die oben genannte Zahl, die den Rauminhalt der Ozeane in Kubikmetern angibt.
Denkt man sich nun den einen einzigen - augenscheinlich - so kläglich untergegangenen Wassertropfen mit dem riesigen Ozean vollständig vermischt, so dass alle Moleküle des Wassertropfens im Ozean gleichmäßig verteilt sind, dann ist folglich jeder Kubikmeter des Weltozeans mit hundert Molekülen des einen einzigen Tropfens durchsetzt. Der kleine Tropfen ist in jedem Kubikmeter aller Meere dieser Erde hundertfach gegenwärtig.
Die unvermutete Kraft des Kleinen! Jetzt sehe ich zwei der so genannten »messianischen« Weissagungen im Alten Testament mit anderen Augen: »Und Du Bethlehem Ephrata, die Du die kleinste bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei.« (Micha 5,1). »Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter.« (Jesaja 9,5).
Also, nicht aus der damaligen Welthauptstadt Rom, nicht einmal aus Jerusalem, der Hauptstadt Israels, kommt das Heil der Welt.
Nicht von der Krönung eines erwachsenen Mannes zum Kaiser des Reiches ist Weihnachten zu berichten. Nein, von einem kleinen wehrlosen Baby, von einfachen Leuten, beim Vieh geboren, und am Himmel diese Sternenkonstellation. Wahrlich eine »Sternstunde« für die Menschheit. Also, um Gottes willen, unterschätzen wir das Kleine doch nicht.

Artikel vom 24.12.2005