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Ernte 2006 war sehr  »nervenaufreibend«

Landwirtschaftlicher Kreisverband zieht Bilanz - Karl-Heinz Becker: »Wetterkapriolen hinderlich«

Kreis Minden-Lübbecke (WLW/Re). Das Jahr geht zu Ende. Anlass für den Landwirtschaftlichen Kreisverband Minden-Lübbecke, Bilanz zu ziehen. »2005 war für uns sehr ereignisreich«, erklärt der Vorsitzende Karl-Heinz Becker. Der Regierungswechsel in Düsseldorf und Berlin, die Umsetzung der EU-Agrarreform, die Beschlüsse zur Zuckermarktordnung, der voranschreitende internationale Wettbewerb, sowie die zum Teil unbefriedigenden Erzeugerpreise bei steigenden Energie- und Produktionsmittelkosten prägten das Jahr.

Nervenaufreibend sei zudem die Getreideernte gewesen. Sie gestaltete sich als recht stressig. »Das Wetter stellte uns im Sommer auf eine harte Geduldsprobe«, resümiert Becker. »Unter dem Strich konnten wir jedoch eine durchschnittliche bis gute Ernte einfahren.«
Agrarpolitisch von existentieller Bedeutung sei, so Becker, die nationale Umsetzung der EU-Agrarreform gewesen. Seit Jahresbeginn 2005 wirtschaften die Bauern nach den neuen Regeln. »Diese dritte Reform der Landwirtschaftspolitik innerhalb von zwölf Jahren brachte uns einen grundlegenden Systemwechsel, ist hochkompliziert und bürokratisch«, stellt der Vorsitzende fest. »Und nun droht den deutschen Landwirten eine neue Welle von Bürokratie«, erklärt Becker. Geplant sei die Kopplung zahlreicher Hygienevorschriften an die neuen EU-Ausgleichszahlungen. Diese sollten aber, im Gegensatz zu den anderen EU-Ländern, in Deutschland auf eine Vielzahl weiterer Bestimmungen ausgedehnt werden. Becker: »Die Folge wäre ein massiv aufgeblähtes Kontroll- und Verwaltungssystem, ohne dass ein höherer Verbrauchernutzen erkennbar ist.«
Große Sorgen bereite den Landwirten weiter die im November beschlossene EU-Zuckermarktreform. Der Berufsstand habe mit vielen Aktivitäten wie die Mahnfeuer im November, die Brüsseler Demonstration sowie die Luftballonaktion im Juli oder das Rübenforum im Februar versucht, Schadensbegrenzung zu betreiben. Becker: »Dadurch konnten wir Schlimmeres verhindern.« Trotzdem seien die Beschlüsse ein harter Schlag. Sie bedeuteten ein großes Opfer für die ostwestfälischen Rübenerzeuger, Zuckerfabriken und Arbeitnehmer.
Die WTO-Verhandlungen Mitte Dezember in Hongkong bewertet Becker weder als Erfolg noch Misserfolg. Die Einigung der WTO-Ministerkonferenz siehe vor, die Exporterstattungen bis 2013 abzuschaffen.
»Auch wenn es beim Marktzugang noch keine Entscheidung gibt, so ist das Enddatum 2013 für Europa eine große Herausforderung«, erläutert Becker. Aus Sicht der europäischen Bauern komme es nun darauf an, die Exportförderung aller anderen wichtigen Akteure auf dem Weltmarkt (USA, Australien, Kanada) einzustellen. Den Beschluss des EU-Gipfels (ebenfalls Mitte Dezember) zur Finanzierung der EU-Haushalte 2007 bis 2013 beurteilt Becker als einen pragmatischen Kompromiss. Erstmals sei überhaupt ein Abschmelzen des Britenrabatts in Gang gesetzt worden.
Zu den Ereignissen 2005 gehörten die neuen Weichenstellungen in Düsseldorf und Berlin. »Innerhalb eines Jahres haben wir einen neuen Landes- und Bundesagrarminister bekommen«, berichtet Becker. »Das gab es nicht all zu oft.« Von den Regierungen erwartet der Vorsitzende: Investitions- und Innovationsförderung zur Konjunkturbelebung sowie Abbau von Wettbewerbsverzerrungen und Bürokratie. Wettbewerbsverzerrend sei zum Beispiel die Besteuerung beim Agrardiesel. Ein deutscher Landwirt bezahle rund 40 Cent Steuern je Liter Agrardiesel, der französische Kollege nur 0,7 Cent. »Um mit unseren europäischen Kollegen konkurrieren zu können, brauchen wir die 1:1-Umsetzung von EU-Richtlinien«, unterstreicht Becker.
So fordere der Berufsstand die Verabschiedung der Nutztierhaltungs-Verordnung 1:1 nach EU-Vorgaben. »Die Belastungen unserer Höfe sind auf ein unerträgliches Ausmaß gewachsen«, argumentiert Becker. Darüber hinaus ständen die Erzeugerpreise unter erheblichem Druck, allen voran die Preise für Milch. Die Lage vieler Milchbetriebe sei äußerst angespannt. So führe der Berufstand verschiedene Aktionen durch, um auf die dramatische Lage der Milcherzeuger, den fortschreitenden Preisverfall und die Folgen von Dauerniedrigpreisen bei Lebensmitteln hinzuweisen.
Aufs Schärfste verurteilt Becker außerdem die seit Wochen anhaltenden Fälle vom Fleischmissbrauch. »Es ist ein Skandal, dass die hohe Qualität unserer Produkte durch kriminelle Machenschaften in Verruf gebracht werden.«
Abschließend ermuntert der Vorsitzende die Bauern im Mühlenkreis, mit Zuversicht in das Jahr 2006 zu blicken. »Aufgrund unserer fachlichen sowie unternehmerischen Fähigkeiten können wir mit Selbstvertrauen nach vorne schauen.«

Artikel vom 24.12.2005