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»Als Ludwig aus
der Pfanne flog«

Eine Weihnachtsgeschichte

Rahden (WB). Die Geschichte von der Gans Ludwig, die eigentlich ein Gäsebraten hätte werden sollen, erzählt Horst Hartmann aus Rahden.

Ludwig ist eine Weihnachtsgans. Ludwig ist sieben Jahre alt - für eine Weihnachtsgans ein biblisches Alter. Ludwig ist alleinstehend - seine Familienangehörigen landeten schon alle im Bräter. Ludwig lebt draußen auf dem Lande bei Bauer Elfried zusammen mit vielen anderen Kreaturen - Milchkühe, Rinder, Kälber, Sauen, Ferkel, Mastschweine, Hühner, Pfauen, Hund und Katzen. Ludwigs Schlafstätte ist eine Bucht im Schweinestall, mit Stroh ausgelegt. Die Klappe ist immer offen in einem offenen Haus. Ludwig hat immer Ausgang. Neben den täglichen Fütterungszeiten schnabelt Ludwig im Mehltrog und in der Silage und er leidet keine Not. Nur wenn die Weihnachtszeit vor der Tür steht und im Hause der Speiseplan für die Festtage besprochen wird und hier stets Ludwigs Name fällt, sträubt sich sein Federkleid. Noch hat er die vergangenen Jahre überlebt. Immer gab es innerhalb der Familie andere Gründe, um Ludwig zu schonen - zu jung, zu schön, zu mager, zu fett, zu lieb, zu anhänglich. Das ist Ludwig - sehr anhänglich. Jeden Morgen begrüßt er seine Züchter mit lautem Geschnatter. Im Sommer watschelt Ludwig zum Feld und begrüßt den Bauer bei der Feldarbeit. Dabei muss Ludwig auch eine Kreisstraße überqueren - das hat er gut im Griff und noch keine Feder verloren. Bei seinen Rundgängen auf dem Hof begegnet er oft dem Hofhund Nicki. Nicki war einmal in großer Gefahr. Er geriet unter den hofeigenen Pkw. Danach war Nicki ganz »schief«. Sein Hinterteil hätte beim Laufen fast das Vorderteil überholen können. Aber nach ein paar Wochen war Nicki wieder ziemlich »gerade«. Nicki und Ludwig vertragen sich ganz gut, denn der Hund weiß schon lange, wen er vor sich hat. Die zurückliegenden Schnabelhiebe hat er nicht vergessen. Ludwig ist unangreifbar. Nur wenn die Kühe aus dem Stall auf die Weide gelassen werden, muss er aufpassen. Die Rindviecher wollen ihn jagen.
Und nun ist wieder Adventszeit und das Weihnachtsmenü wird ins Auge gefasst. Die Bäuerin besteht darauf, dass Ludwig jetzt herhalten muss, sonst wird er doch zu alt und schmeckt dann nicht mehr. Keiner weiß aber, ob die Bratpfanne groß genug für Ludwig ist. Darum werden die Maße der Pfanne mit Ludwigs Umfang verglichen und es wird festgestellt, dass der Brattopf viel zu klein für Ludwig ist. Jetzt müsste eine größere Investition für eine neue Pfanne geplant werden - doch dieser Plan wurde verworfen - was käme danach, wenn Ludwig gebraten ist. Es gäbe keine Gans mehr und die Pfanne hätte keinen Gebrauchswert mehr. Das Ergebnis dieser Überlegungen ist ganz klar - Ludwig lebt weiter.

Artikel vom 24.12.2005