30.12.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Dramatische Storchensaison

Paar in Gehlenbeck war mit vier Jungen der Spitzenreiter im Mühlenkreis

Von Dr. Dr. Alfons Bense
Gehlenbeck / Kreis Minden-Lübbecke (WB). Nach einem überaus positiven Jahr 2004 (19 Brutpaare und 37 ausfliegende Jungstörche) waren die Erwartungen an das Storchenjahr 2005 im Mühlenkreis sehr hoch. Vorab: 18 Paare mit 31 Jungen stellen dennoch ein über Jahrzehnte herausragendes Ergebnis dar.

Zwei klimatische Bedingungen bestimmten das Storchenjahr wie selten zuvor. Schlechtwetterfronten in Afrika und der Türkei hinderten viele der über die Ostroute (Süd- und Ostafrika, Sudan, Israel, Bosporus, Bulgarien) heimwärts ziehenden Störche an einer zeitgerechten Rückkehr. Beide Paare in Wasserstraße gelangten sogar erst nach der Brutzeit zurück, das Paar in Nordhemmern fand sich erst ab dem 2. Juli.
Die Weststörche (Westafrika, Gibraltar, Spanien, Frankreich) dagegen waren nicht betroffen und trafen rechtzeitig im Laufe des März ein. Auch Nachzügler unter den Westziehern fanden wegen des Ausbleibens der über Osten ziehenden Artgenossen häufiger einen attraktiven Nistplatz und waren insofern im Vorteil. Im Kreis Minden-Lübbecke nisten etwa zur Hälfte ost- und westziehende Störche. Die Linie der Weser stellt eine so genannte »Zugscheide« dar, die sich allerdings langsam nach Osten zu verlagern scheint. Weiter östlich liegende Storchengebiete (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Polen) mit ausschließlich über die Ostroute wandernden Vögeln waren daher von den negativen Einflüssen im Jahr 2005 weit stärker betroffen als unsere Region und mussten im Vergleich zum Vorjahr regelrecht Einbrüche hinnehmen. In Brandenburg flogen weniger als die Hälfte Junge aus.
Ein zweites wichtiges Merkmal der Storchensaison war ein phasenweise ausgesprochen kalter und regnerischer Mai und Juni, in denen zahlreiche Jungstörche eingingen. Nachgewiesen starben mindestens elf Jungvögel noch im Nest. Bei 31 ausfliegenden Jungen sind dies 26 Prozent. Bei Bruten mit nur einem oder zwei ausfliegenden Jungen, z.B. Eickhorst und Hille wird man weitere unbemerkte Verluste annehmen müssen.
Obwohl das Brutergebnis in absoluten Zahlen freundlich erscheint, weist die durchschnittliche Zahl schließlich ausfliegender Jungvögel pro Brutpaar (JZa 1,72) auf eine langfristig nicht arterhaltende Nachwuchsrate hin. Mehr als zwei Junge pro Paar wären erforderlich, eine Quote, die bei uns auch in guten Jahren nur knapp erreicht wird. Dies zeigt, dass die heimische Storchenpopulation immer noch nicht aus sich heraus Bestand haben kann, sondern auf Zuwanderung brutreifer Störche angewiesen bleibt. Da der Bruterfolg entscheidend von den Nahrungsbedingungen abhängt, bleibt hier weiterhin Handlungsbedarf, aber auch Handlungschance. Die Arbeit des Aktionskomitees »Rettet die Weißstörche im Kreis Minden-Lübbecke« hat in den vergangenen Jahren ganz offensichtlich zur Sicherung und Entwicklung des Lebensraumes der Weißstörche beitragen können. Politik, Landwirtschaft und Bevölkerung des Mühlen- und Storchenkreises bleiben gefordert.
Unter den Enttäuschungen der Saison ist sicherlich Ovenstädt zu nennen, wo auf der Apostel-Kirche 2004 erstmals ein Paar gebrütet hatte, das sein Gelege durch Marder verlor. In diesem Jahr wurde der Nistplatz nicht angeflogen. Auch das Alte Amtsgericht in Petershagen war erstmals seit vielen Jahren nicht besetzt, nachdem ein Paar nach wenigen Tagen den Platz aufgegeben hatte. Es wechselte auf das 300 Meter nördlich gelegene Nistangebot Wehking, zog dann jedoch weiter. Sehr erfreulich war erneut die mit drei ausfliegenden Jungen erfolgreiche Brut auf dem ehemaligen Gefängnis in Petershagen, die wiederum über die ganze Saison im Internet (www.storchencam.wdr.de) beobachtet werden konnte. Der 24-jährige Storch „Peterchen“ brütet in Petershagen seit 1998. Überaus positiv ist auch erstmals wieder die Ansiedlung von Störchen auf der Pfahlnisthilfe Weserhöhe (Krüger) in Ilvese. Das Storchenpaar trug kaum Nistmaterial ein, so dass auf junge unerfahrene Brutvögel zu schließen ist, die ihr einziges Junges witterungsbedingt verloren. Auf dem alten Molkereischornstein (Rüter) in Nordhemmern fand sich ein Paar erst spät zusammen. Hier besteht die Hoffnung auf eine erfolgreiche Ansiedlung 2006. Alte freistehende Molkerei- und Fabrikschornsteine wirken auf Störche äußerst attraktiv, auch wenn das unmittelbare Nahrungsumfeld nicht ausreichend erscheint.
Der Westen konnte von der Stabilisierung der Storchenzahlen immer noch nicht profitieren. Nur das Paar in Gehlenbeck war mit vier ausfliegenden Störchen am Gesamtbruterfolg beteiligt - gleichzeitig die erfolgreichste Brut des Jahres.
Zusammenfassend liegt eine spannende, zum Teil dramatische Storchensaison 2005 zurück, die Zuversicht auf eine positive Entwicklung im Jahre 2006 hinterlässt. Der WDR setzt auch zukünftig die Internet-Live-Übertragung von den Horsten auf dem Alten Amtsgericht und dem ehemaligen Gefängnis in Petershagen fort. Das im April 2005 eröffnete Westfälische Storchenmuseum in Petershagen-Windheim wird zur Popularität der Störche im Landkreis wesentlich beitragen.

Artikel vom 30.12.2005