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Kein Gedanke
an Weihnachten
oder Silvester

Otto Hanheide (79) erinnert sich

Von Heiko Johanning
Versmold (WB). Als in vielen Familien in Versmold Weihnachten oder der Jahreswechsel gefeiert wurde und man sich gesegnete Feiertage wünschte, kamen bei Otto Hanheide Erinnerungen hoch. Erinnerungen an die Weihnachtszeit vor 60 Jahren, als Otto Hanheide noch in russischer Gefangenschaft war. »Wir lagen auf einer Holzliege, nur mit unserem Mantel bekleidet. Da kamen keine Gedanken an Weihnachten oder einen schönen Jahreswechsel hoch.«

Der VERSMOLDER ANZEIGER fragte bei dem ehemaligen Vorsitzenden des Ortsverbandes Versmold im Verband der Heimkehrer (VdH) nach, wie er 1945 die Zeit zwischen Weihnachten und dem Jahreswechsel erlebt hatte. »Ich zog mit 17 Jahren in den Krieg, wurde in Rumänien gefangen genommen und kam dann nach Stalingrad, wo die deutschen Gefangenen in ein Lager verfrachtet worden sind«, erinnert sich der heute 79-Jährige noch sehr gut an diese Zeiten. Kein Wunder, denn lange Jahre nach dieser Zeit hatte Hanheide diese Stationen seines Lebens für sich noch einmal aufgezeichnet. Er besorgte sich einen original Stadtplan von Stalingrad, dem heutigen Wolgograd, mit den alten Bezeichnungen der Stadtteile und Straßen und fand schnell seine Einsatzstellen, wo er zur Arbeit eingesetzt worden war, wieder heraus. Da Hanheide während dieser Zeit einigermaßen Russisch erlernte, kann er auch heute noch die kyrillischen Schriftzeichen lesen.
»Mit 17 wurde ich Soldat, mit 18 kam ich in Gefangenschaft«, so sein kurzer Lebenslauf. »An Weihnachten oder Neujahr haben wir zwar gedacht, feiern konnten wir diese Feste in der Gefangenschaft allerdings nicht«, erinnert sich Hanheide. »Wir mussten hart arbeiten, hatten Hunger, waren unterernährt und fielen abends in einen traumlosen Schlaf, weil wir so kaputt waren.« Weihnachts- oder Silvesterstimmung, wie man sie heute kennt, waren für die Gefangenen absolut tabu.
Zumindest wurde sie nicht nach außen getragen. »Unsere Gedanken gingen natürlich nach Hause. Wir wollten schon wissen, wie es dort zuging, ob sie alle gesund sind, ob das Haus noch steht«, erinnert sich Hanheide weiter. Er schrieb am 7. November 1945 eine Karte, die über das russische rote Kreuz weiter geleitet wurde und erst am 19. Februar 1946 (!) in Versmold an kam: »Lieber Vater und Mutter! Mit großer Freude kann ich Euch heute aus der Gefangenschaft ein Lebenszeichen von mir senden. Es geht mir gut und ich kann mich meiner vollen Gesundheit erfreun. Nur eines bedrückt mich und das ist die Sorge um Euch. Seid Ihr noch alle gesund und munter? Was macht unser Heinz (ein Bruder von Otto Hanheide, d. Red.). Jeden Abend vorm Schlafen bin ich mit den Gedanken bei Euch.«
Otto Hanheide erinnert sich noch gut an diesen ersten Gruß aus der Gefangenschaft: »Da meine Mutter all diese Karten aufgehoben hat, kann ich mich noch gut wieder hinein fühlen in die jeweilige Situation, in der ich mich damals befand. Ich hatte ganz einfach Heimweh.« In den frühen Morgenstunden des 23. November 1949 war Otto Hanheide wieder bei seiner Familie in Versmold. »Ich stand im Flur und pfiff. Da wussten alle im Haus: Otto ist wieder Daheim.« Im Kreise seiner Familie und Freunde feierte er dann sein erstes Weihnachtsfest und den Jahreswechsel nach der Gefangennahme. »Das war ein tolles Freudenfest für uns alle.«

Artikel vom 02.01.2006